Gastbeitragvon Ewald Mader
Ein Spieler mit Handicap 6, von Beruf Zahnarzt, kam zu mir und klagte über ein beginnendes Yips-Phänomen beim Putten. Außerdem darüber, dass er seine gewohnte Leistung bei den Ligaspielen nicht mehr abrufen könne und in Leistungslöcher falle. Dadurch bekamen er, als auch die Mannschaft, mehr und mehr Probleme.
Eine nähere Beschreibung, wann und wie der Yips auftauchte, oder Hinweise darauf, was Leistungslöcher verursachte, konnte er nicht geben, außer dass diese plötzlich auftraten. Er schilderte, dass Putts, die sonst hochprozentig funktionierten, plötzlich nicht mehr fielen. Bei den langen Annäherungsschlägen stellte er fest, dass deren Streuung viel zu groß sei, wodurch sich Punkte kostende Folgeschläge einstellten.
Im weiteren Gesprächsverlauf berichtete er von seinem Berufsalltag. Er erzählte, dass er als Zahnarzt, was Zahnersatz anbelange, ein absolut perfekter Mensch zu sein habe, weil seine Kunden höchste Passgenauigkeit erwarteten; das heißt, der Zahnersatz muss auf den zehnten Millimeter genau passen. Nichts darf zwicken oder knirschen.
Mit der Score-Methode, einer NLP-Variante in der auf der Timeline vergangene Turniere aufgestellt werden, werte ich dieses aus. Diese Methode zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass Symptome (Yips und Streuung) von den Ursachen getrennt werden. So konnten wir dem Problem auf den Grund gehen.
Das Problem meines Klienten lag darin, dass er die Präzision und die Perfektion, die berufsbedingt erforderlich waren, auch auf sich selbst und sein Golfspiel übertrug. Perfektion in Millimetern gemessen war auf der Identitätsebene des Zahnarztes angesiedelt, entsprechend widerstrebten ihm Golfschläge mit einer Abweichung von einigen Metern genauso sehr wie Putt-Abweichungen von nur wenigen Zentimetern.
Daraus leitete sich eine für die Leistung schädliche, überhöhte Erwartungshaltung an sich selbst ab und der Betroffene genügte seinen eigenen Ansprüchen nicht mehr, sodass er durch Yips und Streuung die Verantwortung für sein Verhalten an „Dritte“ abgab.
In Kenntnis der Ursachen von Problemen lassen sich geeignete „Ressourcen“ ableiten. Außerdem ginge mit der Perfektion, das heißt mit einer überzogenen Detailorientierung, auch eine Ergebnisfokussierung einher, anstatt dass der Spieler sich auf den Prozess des Schlages bzw. des Puttens konzentrierte.
Eine interessante Mixtur, die ich hier noch einmal zusammenfasse:
- Perfektion als berufliches Identitätsmerkmal, das die Golfwerte überlagert
- überzogener Anspruch an sich selbst hinsichtlich der Perfektion der Schläge
- Ergebnisfokussierung statt Prozessorientierung
- Detailorientierung (Millimeter) statt globale Orientierung (Meter oder Zentimeter)
Daraus ergab sich zunächst die Aufgabe, den Perfektionismus zu hinterfragen und zu „reframen“, das heißt, etwas in einem anderen Rahmen zu betrachten, wie es in der Fachsprache formuliert wird − und das Berufliche vom Golfspiel abzutrennen.
Dies erfolgte zum einen in Form eines verbalen Reframings, das heißt, es wurde klargestellt, dass es einen Unterschied gibt zwischen „perfekt“ und „bestmöglich“. Perfektion lässt keine Fehler zu. „Bestmöglich“ konzentriert sich dagegen eher auf den Prozess und weniger auf das Ergebnis, das heißt, es geht darum, den Schlag oder den Putt bestmöglich auszuführen, entsprechend dem eigenen Leistungsvermögen. Zum anderen galt es klarzu-stellen, dass eine solche Prozessorientierung nicht zwangsläufig impliziert, dass der Ball bzw. der Putt direkt im Loch landen muss.
Um die eigene mentale Überforderung zu verdeutlichen, zeigte ich dem Coachee Statistiken über die Erfolgsquoten der Profis. Damit wurde klar, dass selbst ein Profi eine gewisse Streuung in seinen Schlägen hat. Nicht jeder Putt gleicht den Fernsehbildern und landet immer in der sicheren Zone bzw. direkt im Loch 7. Im Abgleich mit den im Internet vorhandenen Statistiken konnte der Coachee nun seine Erwartungshaltung hinsichtlich der Schlagergebnisse und Puttergebnisse korrigieren, das heißt auf ein Niveau positionieren, das seiner Leistungsklasse als Ligaspieler entsprach. Vorher hatte sein Anspruchsniveau weit über den statistischen Werten von Tourspielern und Pros gelegen.
Dies war allerdings nicht der entscheidende Punkt. Die Perfektion war sehr hoch auf der Ebene der Identität, also in der Person, angesiedelt. Das heißt, der Mensch hat sich mit dieser Perfektion identifiziert. Aus dieser Identität „Ich bin ein perfekter Mensch“, die sowohl den Zahnarzt als auch den Golfspieler erfasst, leitet sich die Überzeugung bzw. der Wert „Ich muss perfekt sein“ ab, was wiederum ein Metaprogramm hervorruft, nämlich Detailori- entierung (vgl. Kapitel 7).
Im Coaching ging es nun darum, das Metaprogramm „detailorientiert“ neu darzulegen („Reframing“) und zwischen zwei Verhaltensebenen zu differenzieren: zum einen dem Verhalten als Zahnarzt und zum anderen dem im GolfspieI. Der Dreh im Coachinggespräch bestand nun darin, zwischen der Präzision, die im Berufsleben verlangt wird und der bestmöglichen Schlagausführung beim Golfspielen zu unterscheiden. Was den Unterschied zwischen „perfekt“ und „bestmöglich“ anbelangt, haben Sie in diesem Buch bereits erfahren. Beim Klienten hat es diesbezüglich „klick“ im Golferhirn gemacht.
Des Weiteren wurde die Wahrnehmung der Distanzen differenziert: Bei der Zahnbehandlung in Millimeter und beim Golfspielen in Meter sowie beim Putten in Zentimeter.
Damit hat es zum zweiten Mal „klick“ im Golferhirn gemacht: Unterschiedliche Skalen wurden mit Identitäten in Verbindung gebracht. Wenn Zähne bearbeitet bzw. Zahnersatz hergestellt wird, dann sind Millimeter oder Mikrometer das Maß der Dinge. Beim Putten ist die Skala eben eine andere, ebenso wie beim Abschlag und so weiter. Das ist völlig in Ordnung. Damit wurde dem Klienten klar, dass sich die Varianz beim Golfen deutlich von der Präzision seiner handwerklichen Tätigkeit unterscheiden darf.
Das Reduzieren der Erwartungshaltung auf Basis der Statistiken von Golfprofis, der Ersatz des Begriffes „perfekt“ durch„bestmöglich“ − sowie die damit einhergehende Prozessorientierung und die Erleichterung, die mit dem Zulassen einer höheren Streuung bei Putt und Schlag einhergeht − führten zu einer nachhaltigen Entspannung und zu weit besseren Ergebnissen mit weniger Schwankungen bei den Folgeturnieren.
Zusätzlich wurde das Coaching mittels Hypnose intensiviert, um die Reframes sowie die Trennung der beiden Identitäten „Zahnarzt“ und„Golfspieler“ in tiefere Bewusstseinsregionen zu transportieren.
In einem anschließenden Techniktraining wurden mit dem ehemaligen Profispieler Christoph Knapp, Pro im Golfclub Pforzheim, spezifische technische Elemente zur Verbesserung der Schlagvarianz und zur Optimierung der Annäherungsschläge trainiert und damit passende Technikdetails hinzugefügt. Was glauben Sie, was mit dem Yips geschehen war? Wie Sie sich denken können, war davon keine Rede mehr.
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Denken Sie noch oder golfen Sie schon?“ von Ewald Mader. Das Golfbuch (268 Seiten, Verlag Menschen Groß machen) ist für 39,95 Euro im Handel erhältlich.