Frau Dr. Zeisig aus „Golfgaga“ von Eugen Pletsch
Ich lächelte. Zurück aus der Welt meiner Erinnerungen, blickte ich auf.
Frau Dr. Ludmilla Zeisig schaute mich lange an. Dann holte sie tief Luft: »Das ist eine sehr interessante Geschichte. Sehr anschaulich erzählt. Es erklärt aber nicht, warum jemand die Polizei verständigte, die sie hierher brachte. «
Ich zuckte die Schultern. »Ich denke, meine Nachbarin, die dicke Frau Schäfer, hat mich vom Balkon aus gesehen, wie ich schwarz verschmiert auf dem Topf rumschlug und dann mit Dr. Wilson rumbrüllte. Ich bin ihr ein Dorn im Auge, denn in unserer Siedlung spielt man kein Golf. Das macht man nicht. Bei uns wohnen nur anständige Leute, die ehrlicher Arbeit nachgehen, sofern sie eine haben.«
Ich lehnte mich zurück. »Sagen Sie, muss ich jetzt hier bleiben? Ich meine, bin ich eingewiesen oder so was?« Sie schaute mich mit besorgtem Blick an, als wäre mein Kummer ihr Kummer. »Um Himmels Willen nein«, beruhigte sie mich. »Auf keinen Fall. Wir haben überhaupt keinen Anlass, Sie hierzubehalten. Aus meiner Sicht stellen Sie keinerlei Gefährdung für sich oder Ihre Mitmenschen dar. Ich denke, dass Sie vielleicht etwas, nennen wir es exzentrisch, sind. Solange Sie sich damit wohl fühlen, ist das okay. Aber kann es sein, dass Sie sich seit einiger Zeit nicht so wohl fühlen?«
Ich nickte.
»Schlechte Träume? Schweißausbrüche?«
»Ja.«
»Auf der Runde keine Entspannung mehr, eher ein inneres Grimmigsein?«
»Genau.«
»Alles geht Ihnen auf die Nerven, je mehr Sie trainieren, umso weniger klappt es und vom Golf abschalten wird unmöglich?«
». Nichts Ungewöhnliches. Ich mache Ihnen folgenden Vorschlag: Sie bleiben heute noch hier und schlafen sich mal gründlich aus. Ich würde mich morgen früh ganz gerne noch mal mit Ihnen unterhalten, wobei ich vorher ein paar Dinge abklären muss. Was halten Sie davon?« Ich war einverstanden.
Von wegen gründlich ausschlafen. Am nächsten Morgen, zu irgendeiner grässlichen Unzeit, wurde ich von der Nachtschwester geweckt, dann kam ein Mädel, die mein Blut wollte, dann wurden Betten gemacht, dann kam das Frühstück. Totaler Stress. Um 10 Uhr, als ich bei Frau Dr. Zeisig sein sollte, fühlte ich mich wie gerädert.
Als ich in ihrem Gesprächsraum eintraf, hatte sie ihren Kittel noch über dem Arm. Ihre breiten Schultern und schmalen Hüften verstärkten den athletischen Eindruck, den sie machte. Der Pulli zeigte aber auch die weiblichen Aspekte ihrer Persönlichkeit, und das nicht zu knapp. Sie zog sich den Kittel über, als wollte sie meinen Gedanken in dieser Richtung Grenzen setzen.
»Wie geht es Ihnen heute morgen?«, fragte sie.
»Ich entnehme Ihrer Frage, dass Sie diese Klinik mit ihren Morgenritualen noch nie als Patient erleiden mussten?«
Jetzt lachte sie. Schöne, weiße Zähne.
»Setzen Sie sich.« Sie wies auf einen Stuhl. »Ich habe mit Ihrem Hausarzt Dr. Bercelmeyer gesprochen. Er hat zwar empfohlen, dass Sie noch ein paar Tage zur Beobachtung bleiben sollten, aber dazu besteht aus meiner Sicht kein Anlass. Ich habe Herrn Dr. Bercelmeyer mitgeteilt, dass ich in den nächsten Tagen meine neue Tätigkeit in einer Privatklinik in Bad Berzich beginnen werde. Ich möchte Ihnen nicht verschweigen, dass ich ein gewisses Interesse habe, mich ausführlicher mit Ihnen zu unterhalten. Der Golfsport ist für mich als Suchtexpertin ein interessantes Forschungsgebiet. In den USA, wo Golf als Volkssport etabliert ist, lassen sich die Phänomene der Golfsucht nicht so deutlich beobachten wie in Deutschland. Die Gelder für meine Arbeit sind schon bewilligt. Vielleicht möchten Sie mich dabei unterstützen, indem Sie mich in Bad Berzich besuchen und mir erzählen, wie Ihre persönliche Entwicklung als Golfer verlaufen ist?«
Ich schaute sie misstrauisch an: »Aha, der Bercelmeyer steckt dahinter! Der Mann ist eine Gefährdung für sich selbst und seine Mitmenschen. Als Golfer und als Arzt! Ich will Ihnen sagen, was der plant: Bei den nächsten Seniorenmeisterschaften habe ich ein Wörtchen mitzureden, deshalb will er mich einsperren lassen!«
»Aber nein! Niemand will Sie einsperren. Sie können kommen und gehen, wie Sie wollen. Herr Dr. Bercelmeyer hat Sie uns nur als besonders kompetent empfohlen. Er erzählte mir, dass Sie zum Thema Golfsport publiziert haben. Als Ihr behandelnder Arzt hat er auch erwähnt, dass Sie im Sommer, wohl anlässlich eines Golfturniers, einen massiven Zusammenbruch mit Halluzinationen hatten. Es würde mich natürlich interessieren, was da passiert ist.« Ich beruhigte mich.
»Bercelmeyer hat mich empfohlen? Er sagte Ihnen, dass ich schreibe?« Frau Dr. Zeisig nickte eifrig.
»Ja, und er sagte, es gäbe niemanden, ihn selbst eingeschlossen, der mich so kompetent in das Thema Golfsucht und Golfwahnsinn einführen könne wie Sie.«
Das klang gut. Ich fühlte mich geschmeichelt. Mein Erstlingswerk war von der Golfpresse weitgehend unbeachtet geblieben, aber das Buch verkauft sich gut. Ich schreibe eine wöchentliche Internetkolumne, in der ich meine Desaster auf dem Golfplatz meist als Racheakt inszeniere.
»Also gut. Wann beginnen wir? Und klären Sie das mit der Kasse?« »Die Lichtheimat-Klinik ist eine Privatklinik, aber meine Abteilung wird vermutlich von den Krankenkassen als Pilotprojekt unterstützt werden. Das wird gerade geklärt. Wenn Sie zustimmen, würde Dr. Bercelmeyer für Sie eine Kur beantragen. Dann könnten Sie bei uns Ihre, nennen wir es Erschöpfungszustände, regenerieren und uns gleichzeitig mit Ihrer Kompetenz zur Verfügung stehen. Was halten Sie davon? Die Lichtheimat-Klinik in Bad Berzich ist ein schönes, altes Haus, frisch renoviert. Dank der Fördermittel können wir auf diesem vollkommen neuen Gebiet in aller Ruhe forschen. Sie müssten nur bereit sein, die Regeln des Hauses zu akzeptieren.«
Diesen Satz überhörte ich.
»Dann stoße ich sozusagen als Experte zu Ihrem Team?«
»So könnte man sagen, als Patient – und Experte.«
Frau Dr. Zeisig lächelte. Ihre großen Augen schauten mir in die Seele. Etwas in mir zappelte hilflos und ergab sich. Ein längst verschollen geglaubtes Gefühl irritierte mich. Könnte ich jemals noch etwas anderes als meine Bälle und mein Golfbesteck lieb haben? Ich musste an die Frauen denken, die mich verlassen hatten. Diesen Gedanken mochte ich nicht. Aber die Idee, mit Frau Dr. Zeisig Fördermittel zu verbraten, um Golfsucht zu erforschen, gefiel mir gut.
»Sowie ich meine neue Arbeit aufgenommen habe und die Kosten-Übernahme geklärt ist, werden wir uns unverzüglich bei Ihnen melden. Wäre Ihnen das recht?«
»Von mir aus könnte es nächste Woche losgehen. Ich habe nur ein paar Dinge zu erledigen. Aber ich vermute mal, es hat mehr Sinn im Frühjahr, wenn wir uns das Metier im Freilandversuch erarbeiten können.« Ich war stolz auf meine professionelle Formulierung und schaute Frau Dr. Zeisig erwartungsvoll an.
»Prima. Dann sind wir uns einig. Ach, noch eins – es gibt keinen Golfplatz in Bad Berzich. Sie werden verstehen, dass wir unseren Patienten jede Versuchung ersparen müssen.«
»Wie? Kein Golf in Bad Berzich?«
»Genau. Aber ich bin sicher, dass Sie das verkraften werden.«
Ihre Augen strahlten um die Wette. Ich nickte hilflos.