Neulich abends fragte mich ein Freund: „Was fasziniert einen eigentlich an diesem komischen Golfspiel?“
Mir fiel spontan keine passende Antwort ein, also vertröstete ich ihn: „Ich denke drüber nach. Frag mich morgen noch einmal.“
Am anderen Morgen fuhr ich ganz früh auf den Golfplatz, um mich auf die Suche nach der Faszination dieses „komischen“ Spiels zu machen.
Auf dem Weg kroch Vorfreude in mir hoch. Da war schon etwas von dieser unerklärlichen Faszination, eine Art innerer Erregungszustand. Ich fuhr den schmalen Weg zum Parkplatz hoch. Die Vorfreude wuchs. Die Bahnen Zwei von Drei links und rechts des Weges lagen in sattem Grün. Wunderbar, noch niemand da. Oben auf dem Parkplatz schnallte ich mein Golf – Bag auf den Trolley und wanderte zur Bahn Eins.
Die ersten Sonnenstrahlen krochen über die Baumwipfel im Osten, als ich auf der Bahn Eins stand. Die aufgehende Morgensonne hatte das weite Innerstetal im Hintergrund in ein wundersames Licht getaucht. Unser Golfplatz – eigener – Kuckuck rief in regelmäßigen Abständen zu mir herüber. Auf dem nahen Feldrain trällerte eine Lärche, und oben am Himmel zog eine Weihe ihre Kreise.
Hinter dem Weg, der die Bahn Eins kreuzt, spielte eine Füchsin mit ihrem Nachwuchs.
Ich fühlte mich eins mit der Natur. Da war sie, die nächste Antwort auf die Frage nach der Faszination.
Aber ich wollte ja nicht nur die Natur beobachten, sondern auch Golfspielen. Vorsichtig legte ich den kleinen weißen Ball auf ein Tee und bereitete mich auf den ersten Abschlag vor.
Die Füchsin hatte mich entdeckt und verschwand vorsichtshalber mit ihrem Nachwuchs im Unterholz. Meinen Schlägen ist nicht zu trauen. Ich bin ja der Meinung, das Golfspiel ist nichts für Manisch – Depressive. Oder vielleicht gerade. Ich jedenfalls kenne keine Sportart, bei der himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt so eng beieinanderliegen.
Mein Abschlag war begnadet. Der Ball flog noch über den Weg hinweg und landete mitten auf dem Fairway. Welch ein Anfang! Stolz und Genugtuung durchströmten mich. Vielleicht sollte ich einen mutigen zweiten Schlag über die Bäume wagen und den Ball neben die Fahne platzieren. Und dann mit einem Putt einen „Eagle“ schaffen. Vielleicht trullert der Ball ja sogar gleich ins Loch zu einem „Albatros“!
Ich konnte den zweiten Schlag kaum erwarten. Meine schwungvolle Ausholbewegung riss aber leider ein tiefes Loch in den Rasen, und der Ball hoppelte lediglich 3 m weiter.
Ich blieb ruhig, schließlich war ich allein auf weiter Flur. Aber meine innere Stimme fluchte laut, ich hatte es genau gehört.
Na, dann eben mit dem dritten Schlag auf das Grün.
Leider entsprach auch dieser Schlag bei weitem nicht meinen Erwartungen. Ärger kroch in mir hoch.
Der vierte Schlag landete im Raff, der fünfte im Bunker. Aus Ärger war Wut geworden.
Der Schlag aus dem Bunker misslang völlig, und zu meinem Entsetzen flog der Ball weit über das Grün hinaus. Anschließend fand ich ihn nicht mehr und überlegte kurzfristig, ob ich in Zukunft nur noch Schach spielen sollte.
Aber ich konnte nicht aufhören. Dieser kleine weiße Ball war in mich hinein gekrochen und hatte meine Seele in Beschlag genommen.
Die restlichen Bahnen glichen ebenfalls einer Achterbahnfahrt. Ich lernte das Unterholz kennen und die Brennnesseln im hohen Gras neben dem Fairway. Dann wieder gelangen mir einige Schläge, die nach Golf aussahen und die mein Herz hüpfen ließen: ich spielte ein faszinierendes Spiel gegen mich selbst.
Ich hatte meine halbe Runde beendet und traf am Klubhaus einige Freunde, die gerade erst anfangen wollten. Sie frotzelten über mich, weil ich so früh gespielt hatte – und außerdem allein. Sie lieben die Geselligkeit, die Gespräche während des Gehens über den Platz, das gemeinsame Kaltgetränk hinterher. Beim Golfspiel hat man keine Gegenspieler, sondern immer nur Mitspieler. Das schafft vor allem bei uns Senioren stets eine entspannte Atmosphäre, zumal der große Vorteil des fortgeschrittenen Alters ist, dass man niemandem mehr etwas beweisen muss.
Und plötzlich begriff ich, was das Faszinierende an diesem Spiel ist: Dass jeder in diesem Spiel all das finden kann, was er für sich selber als sinnvoll erachtet: lange Spaziergänge durch eine wunderschöne Natur, das Auf- und Abwallen der Glücksgefühle, Konzentration und Entspannung zugleich, Gespräche und geselliges Miteinander, Wettkämpfe und repräsentative Feste.
Und ich begriff, dass man das alles einem Fremden nicht erklären kann.
Am anderen Tag antwortete ich auf die Frage meines Freundes, was einen an diesem komischen Golfspiel fasziniere: „Finde es selber raus!“
Autor: Dr. Jörg Hellmann, er ist Autor der Bücher: „Kleine Geschichten über Politik und andere Leiden des Lebens”, „Michel schlägt zurück”, „Kleine Geschichten über Enkel und andere Lichtblicke des Lebens“ und „Die Fäden ziehen“.
Informationen gibt es hier.