Manchen tun es als Wichtigteuerei ab. Doch das Dehnen vor (oder nach) dem Golftraining erfüllt eine wichtige Funktion, erklärt Dr. med. Petra Sommer – vaurrausgesetzt man dehnt sich richtig.
75 Prozent der deutschen Hobbyathleten dehnen sich. Stretching gilt als Verletzungs- und Muskelkaterprophylaxe, auch wenn wissenschaftliche Studien diesen Effekt bislang nicht belegen. „Früher hat man einfach nur Sport gemacht, hat geturnt, Fußball gespielt, gegolft – und dann kam plötzlich das Stretchen in Mode und damit die Meinung, von Muskelkater über Verletzungen bis hin zu schlechten sportlichen Leistungen kann man alles wegstretchen“, sagt Dr. Petra Sommer, leitende Ärztin der Kurklinik am Maasberg in Bad Sobernheim. „Egal in welcher Sportart: Es wurde nur noch gedehnt. Mal haltend, mal wippend, mal vor, mal nach dem Training. Auch die Golfer hat irgendwann der Stretchingwahn gepackt – dabei bewirkt zum Beispiel bei dieser komplexen Sportart nur gezieltes und dosiertes Dehnen wirklich etwas.“
Dehnen hat viele Vorteile
Generell sorgt das Dehnen für mehr Dynamik, sprich Beweglichkeit der Gelenke und ihrer umgebenden Strukturen. Es hilft Fehlhaltungen vorzubeugen: „Dehnen ist wichtig, um muskulären Dysbalancen entgegenzuwirken, besonders, wenn man zum Beispiel nur Golf spielt und keine andere Sportart ausübt“, so Dr. Sommer. Verkürzte Muskeln werden durch das Dehnen wieder in die Länge gezogen und die Spannung der Muskulatur reduziert sich, hilfreich auch beim Muskelkrampf. Ein weiterer Vorteil ist, dass Dehnen eine Körper-/Kopf-Bewegung ist, die den Spieler mental auf die Aktivität vorbereitet und das Körpergefühl verbessert: „Viele fühlen sich nach dem Dehnen beweglicher und fitter. Es hilft, zur inneren Ruhe zu finden“, sagt Dr. Sommer. „Durch das Stretchen nach dem Sport wird zudem die Regeneration beschleunigt. Reizungen der Übergänge zwischen Muskeln und Sehnen verringern sich, die Durchblutung ist verbessert. Die Muskeln sind schneller wieder belastbar.“ Dehnen beugt nachweislich aber nicht Muskelkater vor und hat keinen Einfluss auf seine Intensität und Dauer. „Beim Muskelkater handelt es sich um schmerzhafte Mikrorisse durch zu harte oder zu ungewohnte Bewegungen. In diesem Fall können Dehnübungen die Muskelstruktur sogar zusätzlich schädigen, also unmittelbar nach einer intensiven Golfrunde auf einem Bergziegenplatz nicht dehnen!“, betont Dr. Sommer.
Statisch oder dynamisch dehnen
Grundsätzlich gibt es zwei Stretchingarten: „Beim statischen Dehnen wird eine Position mehrere Sekunden gehalten. Beim dynamischen dagegen federt man leicht in der Endposition, wiederholt die Position und geht dabei etwas weiter in die Dehnposition“, so Dr. Sommer. Sportwissenschaftler bevorzugen vor dem Sport das dynamische Dehnen. „Nach dem Sport hat es den Vorteil, dass es Stoffwechselprodukte schneller abbaut“, weiß Dr. Sommer. Ansonsten gibt es im Freizeitsport keine wesentlichen Vor- oder Nachteile zwischen den beiden Stretchvarianten. „Wichtig ist die korrekte Dehnposition, erkennbar an einem leichten Ziehen, die zwischen 15 und 60 Sekunden gehalten oder gewippt werden sollte“, betont Dr. Sommer.
Nie ohne Aufwärmen
Egal ob Joggen, Tennis oder Golfen: Unabhängig vom Dehnen und der gewählten Dehnungsvariante bleibt das Aufwärmen unerlässlich. „Kalte Muskeln sollten nie gedehnt werden, eine reine Muskeldehnung macht einen Muskel nicht warm. Es kann schneller zu Verletzungen kommen“, so die Ärztin. „Dynamische Bewegungen vor dem Sport helfen, den Kreislauf anzuregen, Sehnen, Bänder und die Muskulatur aufzuwärmen und auf die Belastung vorzubereiten. Dazu genügt es schon, sportarttypische Bewegungen langsam auszuführen.“ Bei Sportarten, die wie Hürdenlauf, Ballett oder Karate eine maximale Beweglichkeit erfordern, wird Dehnen beim Aufwärmen vor dem Training sinnvoll.
Auf das Zeitpunkt kommt es an
Solange keine Schmerzgrenze überschritten wird, ist das Verletzungsrisiko beim Dehnen gering. Dehnen zum falschen Zeitpunkt kann aber die Leistung beeinträchtigen: „Durch das Dehnen vor dem Sport verliert man rund fünf Prozent der maximalen Muskelkraft sowie der Beschleunigungs- und der Spannungsfähigkeit. Das ist bei Sportarten wie Fußball und Tennis, die Schnellkraft erfordern, oder Maximalbelastungen wie dem Gewichtheben kontraproduktiv“, so Dr. Sommer. „Das Golfspielen ist wegen der Komplexität eher ein Zwitter.“ Einige Muskelgruppen können vor dem Golfspiel gestretcht werden, zum Beispiel der Hüftbeuger, die Schultermuskulatur sowie die Rumpf- und Bauchmuskeln. „Diese sollten aber nur gedehnt werden, wenn man sehr verkrampft und steif ist, da sonst zu viel vom schnellen Drehmoment und der Flugweite verloren gehen“, warnt Dr. Sommer.
Brust und Bizeps vor dem Golftraining dehnen
Sie rät deshalb davon ab, die Brustmuskulatur und den Bizeps vor der Runde zu dehnen. Gleiches gilt für die Unterarm- und die Handgelenksmuskulatur sowie für die Wadenmuskulatur. „Die Muskeln und Bänder des hinteren Fußes müssen beim Golfen rund 85 Prozent des Gewichtes abfedern. Für diese Muskeln sind deshalb immer Kraft- und nie Dehnübungen wichtig.“
Nach dem Training alles dehnen
Nach dem Training sollten aber, mit Ausnahme der Fußmuskulatur, alle Muskeln gestretcht werden, um die Regeneration zu fördern: „Möglichst aber nicht unmittelbar nach der Runde, sondern besser abends oder am golffreien Tag“, empfiehlt Dr. Sommer. „Das gilt auch für Muskeln, die beim Golfen nicht beansprucht werden. Pauschal kann man sagen, dass das Dehnen nach dem Sport bzw. in der sportfreien Zeit effektiver ist als das Dehnen vor dem Sport.“ Unabhängig vom Zeitpunkt gilt: Wer sich nach dem Dehnen besser fühlt, sollte ruhig dabei bleiben. „Aber auch wer komplett auf das Dehnen verzichtet, riskiert keine Folgen, solange er sich vor dem Sport warm macht und nicht nur eine Sportart, sondern verschiedene Sportarten ausübt“ sagt Dr. Sommer. „Am wichtigsten ist es, auf die innere Stimme zu hören und sich zu fragen, was sich am besten anfühlt!“