Auszug aus dem Buch „Inner Game Golf – Die Idee vom Selbstcoaching“ von W. Timothy Gallwey. Wir danken dem „alles im fluss Verlag“ und dem Inner-Game-Trainer Frank Pyko für die Möglichkeit, diese Leseprobe zu veröffentlichen.
Vorwort
Die Welt ist wie eine riesige mechanische Uhr: Unendlich viele Zahnräder greifen ineinander und treiben schließlich den Uhrzeiger voran. Dieses mechanistische Verständnis von Ursache
und Wirkung haben wir spätestens seit Isaac Newton. Und auf viele Erscheinungen trifft dieses Verständnis auch zu. Davon leben zum Beispiel die Naturwissenschaften. Das Golfspiel leidet eher unter diesem Verständnis. Immer schon wurden die einzelnen Abschnitte und Sequenzen des Golfschwungs analysiert und wie die Zahnräder einer Uhr ständig präziser aufeinander abgestimmt. Heute stehen wir vor einem Wust technischer Anweisungen, der uns schier zusammenbrechen lassen könnte.
Das Golfspiel – genauer gesagt die Mechanik des Golfschwungs – war von jeher ein Lieblingsthema für den Forscherdrang der
Systematiker. Das Resultat war nicht nur eine unglaublich tief schürfende Analyse der Komponenten und Abfolgen des
Schwungs, sondern auch ein stetes Anwachsen der Golflehre.
Trotz der unvermeidlichen Frustration, die sich ergibt, wenn man versucht, sämtliche Instruktionen zu verstehen, zu verinnerlichen und anzuwenden, will die Gier nach dieser Art von Wissen nicht enden. Auch der Glaube an die allein selig machende Kraft der Technik ist ungebrochen. Diese Gier kommt aus dem gleichen Verlangen nach Wissen, das auch die technologische Revolution Newtons angefeuert hatte: aus dem Verlangen nach Kontrolle.
Ich wusste, dass es im Golfspielen um Kontrolle ging. Auch ich war dem menschlichen Drang nach mehr Kontrolle erlegen. Wird
dieser Drang nicht beobachtet, wird er erst zu einem Zwang und dann obsessiv. Die meisten Golfer sehnen sich nach einer
Abkürzung auf dem Weg zur Meisterschaft, die darin besteht, jeden Ball zum gewünschten Ziel zu befördern, und das mit
Grazie, Leichtigkeit, Präzision und Perfektion.
So sah auch mein Traum aus. Die Realität war von hohen Erwartungen geprägt, denen immer wieder Verzweiflung folgte. Zum Schluss resignierte ich und glaubte, Golf sei nur von denjenigen zu meistern, die über eine große athletische Fähigkeit verfügen und Zeit haben, täglich zu üben. Ständig setzte ich mich mit Instruktionen auseinander, die mein Körper nicht befolgen
konnte. Ich war sauer, wenn die erhofften Resultate ausblieben. Glücklicherweise machte mir meine Erfahrung mit dem Buch
»Tennis und Psyche« es schließlich möglich, diesem Strom von Anweisungen zu entkommen, bevor ich in ihm ertrank.
Ich wollte sehen, wie weit ich kommen könnte, wenn ich auf die Vorzüge technischer Expertise verzichtete. Meine Lektoren und Herausgeber setzten mir das Ziel, die 80 zu unterspielen. Während ich das Buch schrieb, durfte ich aber nur einmal in der Woche
spielen. Die Originalausgabe des Buches schilderte daher meine Entdeckungen, die vielleicht in dieser Erkenntnis gipfelten: Natürliches Lernen wird nur dann möglich, wenn man die inneren Hindernisse überwindet, den Zweifel, die Angst, die mangelnde Konzentration. Das Buch stellte auch die grundlegenden inneren Fähigkeiten vor, die Lernen und Höchstleistungen ermöglichen.
Mittlerweile ist der Glaube an das menschliche Potenzial weiter verbreitet als früher. Doch unverändert stehen sich die meisten
von uns tendenziell immer noch im Weg. Und wir gehen nach Fehlern so hart mit uns ins Gericht, dass jegliche Besserung fast ausgeschlossen ist. Nur wenn wir mutig und ehrlich zugeben, dass wir uns selbst stören, und wenn wir aufmerksamer werden,
können wir die zahlreichen technischen Informationen, die uns zur Verfügung stehen, effektiv nutzen.
Kürzlich kam eine sehr beunruhigende Tatsache ans Licht. Die Masse der Golfer wird im Allgemeinen nicht besser! Bei einer
Konferenz der PTA of America über »Lehren und Coaching« stellte das Golf Tips Magazine diese Frage: Wie kommt es, dass trotz der vielen Golfschulen, trotz talentierter Pros, trotz aller Trainingshilfen, trotz renommierter Trainingshandbücher und Zeitschriften, trotz High-Tech-Ausrüstung das Handicap des durchschnittlichen amerikanischen Golfers allenfalls stagniert oder – was laut Studien des amerikanischen Golfverbandes wahrscheinlicher ist – sogar steigt? Für mich ist die Antwort klar: Es gibt eine große Lücke zwischen unserem Wissen über den Golfschwung und unserer Fähigkeit, Menschen beim Lernen zu helfen.
Dieses Problem lässt sich weder durch Weiterentwicklung des technischen noch des erfahrungsorientierten Unterrichts allein
lösen. Genauso wenig hilft es, beide Felder so zu untersuchen, als seien sie voneinander unabhängig. Wir brauchen eine eheähnliche Symbiose beider Sparten, in der jede die ihr angemessene, aber von der anderen unterschiedene Rolle spielt. Es kann ja auch keine glückliche Ehe geben, wenn jeder Partner dogmatisch auf seiner eigenen Perspektive besteht und den anderen dominieren will. Als ich das Buch neu bearbeitete, kam es mir vor allem darauf an, den nächsten Entwicklungsschritt des Inner Game zu formulieren. Die letzten vier Kapitel gehen über das Grundbedürfnis nach mehr Bewusstsein für Bewegung beim Golflernen und Golfspielen hinaus. In ihnen werden vor allem folgende Fragen behandelt:
Welches Motiv habe ich, Golf zu spielen? Wie wirkt sich dieses Motiv auf mein Spiel aus?
Inner Game eröffnet Möglichkeiten des Selbst-Coachings, die man auf dem Golfplatz und außerhalb nützen kann. Es setzt Potenziale frei, die uns angeboren sind. Wir müssen sie nur wieder entdecken, um jene Brücke zwischen Mechanik und Gefühl zu schlagen, die heute wichtiger ist denn je. Diese Brücke zwischen dem Inneren und dem Äußeren kann uns die Erfüllung bringen bei jedem Spiel, das wir spielen. Sie kann uns gewiss zu größerem und vergnüglicherem Respekt vor dem uralten und wundervollen Spiel Golf verhelfen.
W. Timothy Gallwey
Kapitel I: Die innere und äussere Herausforderung
Als ich meinen Tennisschläger an den Nagel hängte und meine 25 Jahre lang nur selten benutzten Golfschläger
putzte, fühlte ich zweierlei: Einerseits war ich begierig, die Methoden und Prinzipien des »Inner Game«, die ich auf dem
Tennisplatz und auf der Skipiste entwickelt hatte, auf ihre Brauchbarkeit für das altehrwürdige Golfspiel zu überprüfen.
Andererseits fühlte ich mich nicht ganz wohl bei dem Gedanken, die ständigen mentalen Schwierigkeiten anzugehen, die das
Golfspiel provoziert.
Die Zweifel rührten nicht von mangelndem Selbstvertrauen im Hinblick auf das »Inner Game« her. Ich wusste, was es zu leisten im Stande ist, wusste, dass seine Prinzipien grundsätzlich richtig sind. Die Methoden und Techniken hatten für erstaunliche Resultate nicht nur im Tennis und im Skifahren, sondern in ganz verschiedenen Welten gesorgt: in der Musik, im Geschäftsleben, in der Erziehung, im Gesundheitswesen und in der Familie. Außerdem hatte ich Briefe von vielen Golfern bekommen, die »The Inner Game of Tennis« gelesen hatten. Sie teilten mir mit, dass sie nicht nur ihr Handicap wesentlich verbessert hatten, sondern auch mit viel mehr Freude dem Golfspiel nachgingen. Ich hatte das sichere Gefühl, das Inner Game könne dem Golfspiel und den Golfern grundsätzlich helfen, auch denen, die gelegentlich den Wunschtraum hegen, das Spiel auf einen Schlag meisterhaft zu beherrschen.
Aber Golf ist anders als Tennis. Im Tennis war ich ziemlich stark. Ich habe es mein ganzes Leben lang gespielt. Jetzt wollte ich mich dem Golfspiel zuwenden und mein Hacker-Niveau möglichst schnell hinter mir lassen. Immer war es mir leicht gefallen,
anderen bei der Überwindung ihrer Zweifel, Ängste und Enttäuschungen zu helfen. Beim Erlernen des Golfspiels war jedoch ich
der Schüler. Manchmal beschlich mich auch die Furcht zu versagen. Aber ich beruhigte mich mit dem Wissen, dass ich bei
konsequenter Anwendung des Inner Game unausweichlich mehr lernen würde als Golf zu spielen. Dem Lernen würden mit
Sicherheit Resultate folgen. Eine meiner ersten Runden spielte ich im Hillcrest Club von Los Angeles. Zu meiner Gruppe gehörte auch Dr. F., einer der renommiertesten Chirurgen von Kalifornien. Auf ihn war ich schon einmal bei einem Prominenten-Tennisturnier gestoßen. Irgendwie schaffte er es, dreimal in der Woche Golf zu spielen. Am ersten Abschlag war ich noch etwas nervös angesichts der ungewohnten Atmosphäre und ich bewunderte Dr. F. ob seiner scheinbaren Selbstsicherheit. Am ersten Loch spielt Dr. F. Par. Auf dem zweiten Abschlag drosch er zwei Bälle hintereinander ins Aus. Er war sauer, hämmerte seinen Driver auf den Boden und rief angewidert aus: »Das ist das frustrierendste Spiel, das sich je ein Mensch ausgedacht hat.« Da er offensichtlich kein Neuling auf dem Golfplatz war, fragte ich ihn naiv: »Warum spielen Sie dann so viel?« Dr. F. machte eine Pause und sagte schließlich: »Weil ich das Spiel nicht besiegen kann.« Er schien selbst über seine Antwort erstaunt zu sein. Er dachte über sie nach und sagte dann entschieden: »Ja, es ist das einzige Spiel, über das ich keine Gewalt habe.«
Es wurde bald offenbar, dass Dr. F. sich nicht nur von seinen Abschlägen frustrieren ließ. Er stand so angespannt über seinen 1-
Meter-Putts, dass ich mir sagte: Wenn der sein Skalpell mit ebenso dunklen Vorahnungen anfasst wie seinen Putter, dann
möchte ich bei ihm nie auf dem Operationstisch liegen. Dabei fordern delikate chirurgische Eingriffe eine wesentlich größere
Fingerfertigkeit als ein Putt von einem Meter – mal abgesehen davon, dass es auch noch um das Leben eines Menschen geht.
Doch Golf nervte Dr. F. eindeutig stärker. Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass Dr. F. sein Skalpell verärgert auf den Boden des Operationssaales werfen und sich einen Tollpatsch schimpfen würde. Aber genau das passierte bei mehr als einem Drei-Putt. Diese Beobachtung minderte meinen Respekt vor der Herausforderung des Golfspiels keineswegs.
Nicht nur Dr. F. empfand Frust. Obwohl ich es vom Tennis her besser wusste, unterzog ich nach jedem Fehlschlag meinen
Golfschwung einer kritischen Analyse. Ich wusste sehr wenig von den mechanischen Abläufen des Schwungs. Trotzdem versuchte
ich herauszufinden, was falsch gewesen war. Hatte ich das Gleichgewicht verloren? Schwang ich zu eilig? War ich zu früh
oder zu spät mit meinen Handgelenken? Beim nächsten Schlag bemühte ich mich immer, den vermeintlichen Fehler zu
korrigieren. Wenn ich dann den Eindruck hatte, ein Fehler sei behoben, dann tauchten umgehend zwei neue auf. Je mehr ich
versuchte, meinen Schwung zu kontrollieren, desto mechanischer und weniger rhythmisch wurde er. Daraus resultierten noch
furchtbarere Schläge. Die wiederum veranlassten mich zu einer noch stärkeren Selbstkorrektur. Es dauerte nicht lange, bevor aus
diesem Kreislauf eher eine Selbstzerstörung denn eine Selbstkorrektur geworden war.
Abseits des Platzes dachte ich gründlich über Golf nach. Worum ging es dabei überhaupt? Ein Begriff setzte sich in meinem Kopf
fest: Kontrolle. Grundsätzlich scheint es bei Kontrolle darum zu gehen, dass man den Körper zu einer gewünschten Handlung
veranlasst – dadurch verhält sich der Golfball wie gewünscht. Ich betrachtete Golf allein als Herausforderung für die Fähigkeit eines Spielers, seinen Körper zu kontrollieren. Ich hatte einige Erfahrung in Sachen Kontrollprobleme beim Tennis gesammelt und ich beschloss, sie auf das Golfspiel zu übertragen.
Auf dem Tennisplatz hatte ich gelernt, dass die Methode zur Kontrolle des Körpers, wie sie die meisten von uns gelehrt wird,
nicht funktioniert. Dem Körper vorzuschreiben, was er zu tun hat, ist nicht der effektivste Weg zur Leistungssteigerung. Unsere
Muskeln verstehen Sprache nicht. Unser Verstand begreift nicht die Koordination von Hand und Auge. Versuchen Tennisspieler
ihren Körper zu veranlassen, sich nach den Instruktionen der letzten Tennisstunde zu verhalten, dann schränken sie dessen
ungehinderte Beweglichkeit ein. Sie stören die Koordination, anstatt sie zu unterstützen. »Nehmen Sie den Schläger früh zurück … Treffen Sie den Ball vorne … Machen Sie den Schläger nicht im Durchschwung zu«, sagen sich diese Spieler während eines Matches. Selbst wenn diese Instruktionen mit der Steifheit und dem Selbstbewusstsein eines rebellischen Rekruten beherzigt werden, führt das nur zu moderaten Erfolgen.
Die Qualität meines Trainings und die Leistungsfähigkeit meiner Schüler verbesserten sich eines Tages wesentlich, als ich die
zerstörerische Wirkung von Anweisungsfluten erkannte. War der Kopf des Schülers frei von äußeren und inneren Anweisungen,
dann konnte er besser auf den Ball achten und er hatte ein wesentlich besseres Gefühl für den Schläger. So kamen natürlich auch bessere Resultate zustande. In jenen frühen Tagen der Erforschung des Inner Game, also dessen, was sich im Kopf abspielt, war ich erstaunt über die Verbesserungen, die allein daraus resultierten, dass ich dem Schüler sagte: »Vergiss alles, was
Du über das Schlagen eines Tennisballes zu wissen glaubst.« Außerstande zu vergessen, was er wirklich wusste, konnte er nur vergessen, was er zu wissen glaubte. Eine natürliche Leichtigkeit kam in sein Spiel. Aber das Inner Game ist nicht schon mit einer
einzelnen Anweisung gewonnen. Die innere Opposition ist viel zu listig und viel zu fest verankert in unserer Psyche, als dass sie sich so leicht ausschalten ließe.
Nach einigen Jahren hatten die Voraussetzungen für das Inner Game beim Tennis Konturen angenommen. Die Hauptursache für
Fehler beim Tennis liegt im Kopf des Spielers. Zweifel, Verkrampfung und Konzentrationsdefizite sind problematischer
als technische Mängel. Aus diesem Grund fand ich es als Trainer viel wirkungsvoller, von innen nach außen zu arbeiten, die
mentalen Ursachen von Fehlern zu beheben, anstatt an äußerlichen Symptomen herumzukurieren. Immer wieder beobachtete
ich, dass die Ausschaltung eines einzigen Selbstzweifels umgehend in zahlreiche technische Verbesserungen im Schwung und im gesamten Spiel mündete. Diese Veränderungen ereigneten sich spontan und ungezwungen. Sie erforderten weder technische
Anweisungen noch die ständige Forderung, Selbstanalyse zu betreiben, wie sie mein Training zu Beginn ausgezeichnet hatten.
Auf dem Tennisplatz waren damit Methoden zur Bekämpfung der meisten mentalen Probleme, unter denen Spieler leiden,
gefunden. Und sie hatten sich als wirkungsvoll erwiesen. Jetzt war ich herausgefordert, praktische Wege zu erarbeiten, die Gleiches im Bezug auf die physischen Erfordernisse und den mentalen Druck beim Golfspiel leisteten.
Als ich Golf regelmäßig zu spielen begann, erkannte ich, dass es die Effektivität des Inner Game in besonderem Maße
herausforderte. Welches andere Spiel führt zu solcher Verkrampfung und Angst? Wie das eigene Kind weiß es uns auf unglaubliche Weise für sich zu gewinnen – und zugleich enthüllt es jede Schwäche unseres Geistes und Charakters, gleich wie gut diese verborgen ist. An uns liegt es, ob wir diese Schwäche überwinden oder uns von ihr überwältigen lassen. Nur wenige Spiele bieten eine so ideale Arena, um uns mit Hindernissen zu konfrontieren, die unsere Lernfähigkeit beeinträchtigen, unsere
Leistung und unsere Freude am Leben – auf dem Golfplatz und außerhalb. Um damit fertig zu werden, muss der Golfer die
Herausforderung des Spiels sowohl im Kopf wie mit dem Körper annehmen. Er muss nicht nur Bunker und Ausgrenzen wahrnehmen, sondern auch die mentalen Hindernisse.
Erste Aufgabe ist beim Inner Game Golf das Erkennen der mentalen Anforderungen, die das Golfspiel provoziert. Es gibt
deren viele in ganz unterschiedlichen Facetten. Aber im Wesentlichen handelt es sich dabei um fünf Kategorien: die Verlockungen des Spiels für das Ego, die notwendige Präzision, den Druck bei Turnieren, die ganz spezielle Geschwindigkeit des
Spiels und die Zwangsvorstellung von der idealen Technik. Früh entdeckte ich die verführerische Qualität des Golfspiels, über
die kaum eine andere Sportart verfügt. Im Augenblick der Frustration schwört mancher Golfer, sein Bag an den Nagel zu
hängen. Doch kaum einer tut das. Aus irgendeinem Grund erinnert man sich der zwei oder drei »Triumphe« auf einer Runde, während die ärgerlichen Fehlschläge und das dumpfe Mittelmaß längst vergessen sind.
Ich sah, dass die Anziehungskraft des Spiels teilweise auf den Resultaten beruhte, die oft nichts anderes als pures Glück waren.
Golf ist eine der wenigen Sportarten, in denen ein Anfänger für eine Sekunde mit einem Champion gleichziehen kann. Ein Nichtsportler, der erstmals Golf spielt, kann einen 15-Meter-Putt auf dem ersten Grün einlochen und zu dem Schluss gelangen:
Golf ist ein einfaches Spiel. Selbstüberschätzung kann sich breit machen. So kann ein Zwanzigjähriger mit ziemlich guter
Koordination seinen ersten Abschlag 230 Meter weit mitten aufs Fairway hämmern und auf dem Weg zu seinem Ball zu der Ansicht gelangen, dass er in kurzer Zeit reif für die Tour ist. An irgendeinem Tag könnte mein 75-jähriger Vater ein Resultat
erzielen, das besser ist als das von Jack Nicklaus bei einer Katastrophenrunde. Selbst als Anfänger konnte ich an
irgendeinem Loch mit zwei Schlägen auf dem Grün sein, den Ball mit einem Putt versenken und ein Birdie machen – ein Resultat, wie es sich selbst Spitzenspieler wünschen. Das Problem bestand natürlich darin, dass mir das nur selten gelang. Und in meiner Naivität verführten mich meine guten Löcher zu dem Glauben, ich könnte mit den Besten mithalten. Und die schlechten Löcher, die unausweichlich folgten, konnten meine eitlen Hoffnungen in Verzweiflung wandeln. Das kommt bei den meisten anderen Sportarten nicht vor. Ich bin ein besserer Tennis- als Golfspieler.
Wenn ich jedoch gegen Pete Sampras an meinem besten Tag spielen würde, während er seinen schlechtesten hätte, würde ich
nicht viele Punkte holen, noch viel weniger Spiele oder Sätze. Eine realistische Einschätzung meiner golferischen Qualitäten fiel mir am Anfang gar nicht leicht.
Nach nur wenigen Stunden auf der Driving Range erkannte ich, dass die unglaubliche Anziehungskraft des Spiels mir auch seine
wesentliche Frustration bescherte. Obwohl ich seit meinem dreizehnten Lebensjahr nur wenig Golf gespielt hatte, gelang es
mir ab und zu, den Ball 210 Meter geradeaus zu schlagen. Der Anblick des Balls, der hoch und zielsicher durch die Luft schoss,
war begeisternd; er vermittelte mir ein Gefühl von Meisterschaft und Kraft. Der Frust rührte daraus, dass ich diesen Ballflug nicht
nach Belieben reproduzieren konnte. Angestachelt von unendlicher Hoffnung unterdrückte ich meinen Ärger über Fehlschläge und schlug Ball um Ball. Ich wollte jene Begeisterung noch einmal fühlen, wollte beweisen, dass mein Körper zu dem im Stande war, was er bereits gezeigt hatte. Ich hatte angebissen. Wenn ich mich auf der Driving Range umsah, stellte ich fest, dass es anderen genauso ging. Da standen wir nun, brachten viel Zeit und Geld auf, um jenen flüchtigen und zugleich quälenden perfekten Schwung zu erhaschen, der voraussagbare Resultate verhieß. Und immer wieder wurden wir mit der bedrückenden Wahrheit konfrontiert, dass wir einfach die gewünschte Selbstkontrolle nicht hatten, von der wir glauben, dass wir sie haben sollten. Das Ganze hätte nicht so wehgetan, wenn wir nicht ein paar ausgezeichnete Schläge gemacht hätten. Sie hatten uns das grausame Wissen vermittelt: Wir haben die Fähigkeit in uns, irgendwo, irgendwie.
Ich begann, die Faszination des Dr. F. zu verstehen und zu teilen. Golf schien meine Hoffnungen nur zu heben, um sie dann zu
zerschmettern. Golf schmeichelte meinem Ego nur, um es dann zu zerquetschen. Wo lag hier der Spaß? War das Spiel zu bezwingen? Und was würde das bedeuten? Könnte ich zumindest lernen, mich an Golf zu erfreuen und ohne Enttäuschungen zu spielen? Ich fühlte: Wenn ich das schaffe, habe ich einen bedeutenden Sieg errungen.
Der quälendste Aspekt meines Spiels war zweifellos die mangelnde Konstanz. Ich konnte einen Ball 35 Meter links vom gedachten Ziel hooken und beim nächsten Schlag, scheinbar mit demselben Schwung, um 35 Meter nach rechts slicen. Noch beunruhigender war es, wenn ich einen Ball vom Abschlag weit und mitten auf das Fairway abschlug und beim nächsten Abschlag den Ball derart toppte, dass er nur ein paar Meter weit über das Gras hoppelte. An mangelnde Konstanz war ich im Tennis gewöhnt. Aber sie hatte bei weitem nicht diese Bandbreite. Ich konnte ein Aufschlagen, auf das ein Aufschlag folgte, der einen Meter zu lang war. Aber ich schlug nicht den ersten Ball ganz unten ins Netz und den nächsten hoch in den Zaun der Umrandung. Aber genau das passierte mir vergleichsweise damals auf dem Golfplatz.
Es hatte den Anschein, als erfordere gutes Golfspiel eine viel größere Selbstdisziplin als gutes Tennis. Der Grund für die enge
Bandbreite, innerhalb derer Fehler gestattet sind, liegt auf der Hand: das Tempo des Schlägerkopfes, das nötig ist, um den Ball
weit zu schlagen. Die Geschwindigkeit des Arms beim Durchschwung ist nicht viel größer als die des Arms eines Tennisspielers beim Aufschlag. Aber wegen der größeren Länge und Flexibilität des Golfschlägers ist das Tempo des Schlägerkopfes wesentlich höher. Wenn ein Schlägerkopf bei einem Tempo von über 160 km/h ein oder zwei Grad offen steht, kann es sein, dass der Ball sein Ziel um einige zehn Meter verfehlt. Angesichts dieser Tatsache überrascht es schon, dass der Ball überhaupt einmal dorthin fliegt, wohin er soll. Beim Tennis ist der Aufschlag der einzige Schlag, der vom Spieler initiiert wird. Der Golfer ist dagegen für jeden Schlag allein verantwortlich. Interessanterweise hat man beim Tennis einen zweiten Aufschlag. Golf verzeiht keinen Fehler! Außerdem bearbeitet man beim Tennis einen viel größeren Ball mit einer viel größeren Schlagfläche, um ihn viel weniger weit zu schlagen. Die Hinwendung zum Golf verlangte deutlich einige Feineinstellung hinsichtlich der Konzentration.
Die im Golf notwendige größere Präzision wird auch durch die Weise gekennzeichnet, in der der Ball angesprochen wird. Der
Tennisspieler kann sich ziemlich lässig oder großspurig an der Aufschlaglinie aufbauen, den Ball ein paar Mal aufspringen lassen
und dann servieren. Die meisten Golfprofis zeigen viel mehr Selbstdisziplin. Sie treten jedesmal in derselben, fast schon ritualisierten Weise an den Ball heran. Auch in ihrer Kleidung scheinen sie pedantischer zu sein. (Mich beschleicht oft das Gefühl, ich könne bei einer Cocktailparty Golf- von Tennisspielern unterscheiden.)
Pedanterie war niemals meine starke Seite. Es gibt kein Foto von mir als kleiner Junge, bei dem nicht mindestens ein Schuh offen
ist. Ich konnte meist alle Probleme bei einer Mathematikarbeit lösen, hatte jedoch selten eine Eins, weil ich oft nachlässig bei der
Berechnung war. Ich fragte mich daher, ob ich jenen Grad an Disziplin erreichen würde, der für Golf anscheinend nötig ist. Zu Beginn betrachtete ich Golf daher als Herausforderung an meine Fähigkeit, mich in Sachen Disziplin zu verbessern. So recht
begeistern konnte mich diese Aufgabe nicht. Die fürs Golfspiel notwendige Präzision erlaubt nicht, aufgestauten Ärger und Frust derart zu entlassen, wie das aggressivere Sportarten tun. Golf produziert Frust. Aber damit
muss man auf irgendeine Weise vor dem nächsten Schlag fertig werden. Das bedeutet eine faszinierende Herausforderung für das
Inner Game.
Ich habe einen mäßigen Tag auf dem Tennisplatz und verliere 6:3, 6:3. Diese Erniedrigung kann ich für mich lindern, indem ich mir sage, dass mein Gegner an diesem Tag besonders stark gespielt hat. Der Golfer kann das nicht. Für Blamage oder Triumph ist allein er selbst zuständig. Und zumeist hat er noch drei Leute bei sich, die ihm die jeweilige Leistung attestieren können. Das Ego
blüht oder verwelkt in dieser Situation. Jeder Schlag beim Golf zählt. Im Tennis kann ich drei Punkte hintereinander verlieren und trotzdem das Spiel gewinnen. Im Endresultat werden viele verlorene Punkte gar nicht erst auftauchen. Tennis vergibt ein paar Fehler. Golf verzeiht keinen einzigen. So steht man scheinbar immer unter Druck. Golf ist von Natur aus ein Spiel des Golfers gegen sich selbst.
Dadurch wird das Inner Game intensiviert. Das Ego wird sowohl mehr herausgefordert als auch bedroht. Die Laune des Spielers steigt oder sinkt in direkter Abhängigkeit von seinem Resultat, das allein ein Produkt seiner eigenen Anstrengungen ist. Wenn ich auch schon viele Golfer erlebt habe, die den Druck abbauten, indem sie dem Wetter oder dem Platz die Schuld gaben, den
Schlägern, den Bällen, anderen Spielern, Familien- oder Arbeitsproblemen, so glaube ich doch nicht, dass sie sich dauerhaft selbst täuschen konnten. Irgendwann erkannten sie, dass Golf ein Spiel gegen den Platz und gegen sich selbst ist und dass der Score ziemlich genau die tatsächlichen Fähigkeiten widerspiegelt.
Während ich viele Golfer gesehen habe, die unter diesem Druck leiden, habe ich oft auch festgestellt, dass es genau dieser Druck ist, der Golfer auf den Platz zieht. Es ist so etwas wie eine Regel, dass Golfer die schwereren Kurse den leichteren gegenüber bevorzugen. Manche erhöhen den bereits vorhandenen Druck, indem sie Wetten abschließen, »nur um das Spiel interessanter zu machen«. Lernen, wie man unter Druck Leistung bringt, ist ein erklärtes Ziel von Inner Game. Die Herausforderung, einen 1,50-Meter-Putt am 18. Loch zu versenken, um das Par zu retten und das Match zu gewinnen, ist viel mehr mentaler denn physischer Natur. Ein Spieler, der lernt, präzise und kraftvoll auch unter solchem Druck zu handeln, erwirbt eine innere Fähigkeit, die es ihm erlaubt, auch mit anderen Situationen in seinem Leben fertig zu werden.
Das Tempo beim Golfspiel ist einmalig und ein offensichtlicher Kontrast zu der Geschwindigkeit der meisten anderen Sportarten.
Im Tennis beispielsweise mögen selbstkritische oder negative Gedanken kurz aufkommen – aber man muss sich umgehend von ihnen verabschieden, weil man auf den nächsten Ball zu reagieren hat.
Auf dem Golfplatz haben wir zu viel Zeit zum Nachdenken. Zwischen den Schlägen können sich ganze Gedankenwolken breit machen: Was ging beim letzten Schlag schief? Wie korrigiere ich meinen Slice? Was passiert mit meinem Score, wenn ich mit dem nächsten Schlag im Aus lande? Es gibt endlos viel Zeit zur Überanalyse. Man wird verwirrt, entmutigt oder sauer.
Der Tennisspieler wird ständig auf Trab gehalten. Er bewegt sich, schlägt den Ball. In vier Stunden auf dem Platz absolviere ich um die 64 Spiele. Bei rund 100 Punkten komme ich vielleicht auf 1200 bis 1500 Schläge. Wenn jeder Golfschlag zwei Sekunden
dauert, dann schwinge ich den Schläger insgesamt nur drei Minuten bei einer Runde von vier Stunden.
Die Konzentration beim Golf bedarf darum einer ganz speziellen Art der Anstrengung. Der Ball liegt einfach nur da, und der Golfer muss sich völlig auf den Schwung konzentrieren. Keinesfalls darf er sich durch die großen Abstände zwischen zwei Schlägen ablenken lassen. Beim Tennis baute sich meine Konzentration während des Ballwechsels auf. Sie erreichte ihren Höhepunkt, wenn ich ganz in der Aktion aufging. In den großen Pausen zwischen zwei Schlägen beim Golf geschieht es viel leichter, dass die Gedanken abschweifen.
Ich kam zu dem Schluss, dass der Weg zum nächsten Schlag zu den kritischsten Faktoren beim Golfspiel gehört. Während dieser
Zeitraum von manchen Profis sowohl als mentales Hindernis wie auch als Vorteil verstanden wird, habe ich das Gefühl, dass die
meisten Golfer seine Bedeutung unterschätzen. Gerade in diesem Zeitraum werden die meisten Spiele verloren – in der Wirklichkeit wie im Kopf. In dieser Zeitspanne kann das mentale Gleichgewicht des Golfers durch eine Flut negativer Gedanken gestört werden oder damit beschäftigt sein, die Verkrampfung vom letzten Schlag abzulegen und sich auf den nächsten vorzubereiten. Der Golfer mit einem guten Inner Game nutzt die Zeit zwischen zwei Schlägen, um sich mental zu entspannen und die totale Konzentration aufzubauen, die er für die zwei Sekunden des nächsten Schwungs braucht. (Dieses Thema wird in Kapitel 8 weiter behandelt.)
Lange Zeit hatte ich die Ansicht vertreten, dass die mechanischen Abläufe des Tennisschwungs übermäßig analysiert werden. Dann schaute ich in die vorhandenen Golflehrbücher. Es würde mich nicht überraschen, wenn man feststellte, dass mehr über die
Technik des Golfschwungs geschrieben worden ist als über irgendeine andere Bewegung des Menschen. Der Schwung wird in
seine kleinsten Bestandteile zerlegt und die anfallenden Informationen werden in die ohnehin schon übervollen Köpfe der Golfschüler gepfropft. Als ein Freund hörte, dass ich mit dem Golfspiel anfangen wollte, präsentierte er mir drei Wälzer: 295 Golfstunden von Bill Casper, 385 Golfstunden von Gary Player, 495 Golfstunden von Arnold Palmer.
Es ist nicht zu übersehen, welche Blüten der Aberglaube im modernen Golf treibt. Viele Golfer sind beständig auf der Suche
nach dem »Geheimnis«. Endlose magische Formeln werden von den wahren Gläubigen propagiert. Der Golfer ist bereit, jeden Tipp auszuprobieren, um seinen Frust loszuwerden, und er macht sich die schönsten Hoffnungen, wenn ein paar Schläge dann klappen. »Es funktioniert!«, denkt er bei sich. »Ich weiß jetzt, was ich machen muss«, ruft er aus. Mein Vater kann als Zeuge dafürherhalten. Aber wie lange funktioniert eine magische Formel? Das »Geheimnis« wird bereits nach ein paar schlechten Schlägen verworfen, und die Hoffnungen schwinden. Jetzt ist der Golfer offen für den nächsten Tipp. Gewiss, ein kleiner Tipp kann schon einmal ganz hilfreich sein. Aber die alles umfassenden Rezepte machen nur Hoffnung darauf, dass man ein Spiel in den Griff bekommt, das niemals dank einer einzelnen Anweisung zu meistern ist. Ich bin überzeugt, dass die glücklichsten und besten Golfer jene sind, die erkannt haben, dass einzelne Rezepte nicht funktionieren. Sie wissen, dass gutes Golf Geduld und Demut sowie ständiges Training der Technik und des Inner Game voraussetzt.
Dies ist also die Situation, der sich die arglose Seele gegenübersieht, wenn sie sich dem Golfspiel zuwendet. Das Ego des Neulings wird angezogen von den reichlichen psychischen Belohnungen, die Erfolg in diesem Sport verheißen, und es fürchtet die Schande, falls ein akzeptables Spielniveau nicht erreicht wird. Bei seinen ersten Runden wird der Neuling genügend gute Schläge gemacht haben, um künftiges Heldentum bereits spüren zu können: Nur noch etwas Beständigkeit braucht es, um die gelegentlich guten Schläge zu einem wirklich ordentlichen Score zu addieren. Leider weiß der Neuling nicht, dass die mechanischen Abläufe dieses Spiels die Wahrscheinlichkeit, die guten Schläge beständig zu wiederholen, gegen Null tendieren lassen. Zudem wird er umgeben sein von Propheten, die über die mentalen und technischen Rezepte verfügen, um ihn von seinen üblen Schlägen zu erlösen, um ihm das Tor weit zu öffnen, hinter dem der Himmel guten Golfspiels liegt. Verwirrt von der langen Liste der »So macht man’s« und »So macht man’s nicht«, die von seriösen Grundlagen bis zu abergläubischer Magie reicht, wird er dazu neigen, jeden Schlag
zu analysieren und jeden Fehler zu korrigieren. Dann wird er an der Korrektur herumkorrigieren. Zwischen zwei Fehlschlägen hat er alle Zeit der Welt, nachzudenken und seine Verkrampfung sowie seinen Zweifel zu verstärken. Nach einem guten Schlag versucht er zu analysieren, wie er ihn wiederholen kann. Dies alles im Kopf eines einzelnen Menschen in Kombination mit den
Anspannungen des heutigen Lebens führt letztlich dazu, dass Golf ein zugleich faszinierendes und gefährliches Spiel ist.
Dieses Buch geht davon aus, dass man einige Kontrolle über seinen Kopf gewinnen muss, um Kontrolle über den Körper zu erlangen. Ein grundsätzliches Verständnis der Technik kann hilfreich sein und gewiss ist ein bestimmtes Maß an physischer Koordination erforderlich, um gutes Golf zu spielen. Aber die Unterschiede in Sachen Talent sind noch kein Grund dafür, dass
wir auf der Driving Range so viel besser schlagen als in der Hitze eines Wettkampfs. Sie sind auch kein Grund für unsere so
unterschiedlichen Scores. Ziel des Inner Game ist es, die unnötig große Lücke zwischen unserem Potenzial und unseren tatsächlichen Leistungen zu schließen, um beständiger Freude am Spiel zu empfinden.
Derart liegt die Herausforderung des Golfspiels mehr in den ungeklärten Aspekten des Inner Game als in den praktischen
Abläufen. Das Interesse an der mentalen Seite des Golfspiels nimmt zu, wie sich in Büchern und Artikeln zu diesem Thema
zeigt. Ein regionaler PGA-Bildungsdirektor, der mich bat, bei einem PGA-Treffen eine Rede zu halten, erklärte mir, die Golflehrer hätten inzwischen den Punkt erreicht, dass sie ihre technischen Analysen eindämmten und ihre Aufmerksamkeit
mehr der mentalen Seite des Sports zuwendeten. »Wir wissen eine Menge über den Schwung«, sagte ein Golflehrer zu mir, »aber
nicht viel über die Methode, wie man Golfern beim Erlernen dieses Schwungs hilft.« Das war nicht einfach so dahingesagt. Die Frage, wie man Selbstzweifel, Konzentrationsfehler, Ärger und geringes Selbstwertgefühl überwindet, stellt sich sehr real. Solche Begleiter sind ein sehr unangenehmes Handicap. Am liebsten würden wir sie vergessen.
Aber wir können nicht so ohne weiteres ein gutes Inner Game spielen. Es handelt sich dabei um einen Prozess, der fortdauernd
auf dem Golfplatz abläuft. Es geht nur darum, ob wir dieses Spiel bewusst spielen, nicht darum, ob wir es gewinnen oder verlieren. Wer das Gefühl hat, seine Leistung entspräche immer seinem Potenzial, wer sich seiner Golferfahrung erfreut und aus ihr lernt, dem möchte ich herzlich gratulieren: Er hat das Inner Game gewonnen. Alle anderen, mich eingeschlossen, die sehr
unterschiedliche Runden unter sehr unterschiedlichen Umständen absolvieren, haben noch den Feind in sich und müssen das Inner Game spielen lernen.
Die fundamentale Herausforderung für den Golfer besteht darin, das Vorhandensein von Störquellen zu erkennen. So ist eher der Sieg im Inner Game das Ziel als die Herrschaft über den Golfplatz.
Dieses Buch beschreibt auf praktische Weise, wie man Prinzipien und Techniken des Inner Game ins Golfspiel integriert.
Die Übungen sind weder Tricks noch Tipps. Vielmehr sollen sie die innere und äußere Herausforderung helfen, die drei wesentlichen inneren Fertigkeiten zu entwickeln: Aufmerksamkeit, Entscheidungskraft und Vertrauen. Weil viele dieser Übungen entwickelt wurden, während ich versuchte, das Golfspiel zu lernen, enthält dieses Buch an manchen Stellen kurze Beschreibungen meiner inneren und äußeren Kämpfe sowie der Entwicklung meines Golfspiels.
Kapitel V: So wird man aufmerksam
Das vorhergehende Kapitel vertrat den Standpunkt, dass Selbstzweifel, Angst vor Versagen und Selbstbewertung die Lern- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen können. Diese drei inneren Hindernisse werden verfestigt, wenn man sich bemüht, ein kompliziertes technisches Anweisungspaket umzusetzen. Als dieses Buch erstmals aufgelegt wurde, waren sich dessen nur wenige bewusst. Golflehrer lehrten Technik, Golfspieler versuchten, sich diese Technik anzueignen. So war es damals. Obwohl diese Lernmethode ein ungutes Gefühl vermittelte und meist frustrierte, war sie doch als einzige anerkannt. Inzwischen
wissen viele Spieler und Trainer, dass der Kopf beim Golfschwung relativ unbelastet von Handlungsanweisungen bleiben soll –
zumindest auf der Runde selbst. Die meisten Spieler wissen, dass es für gutes Golf kontraproduktiv ist, mehr als einen Schwunggedanken verwirklichen zu wollen. Aber immer noch gibt es viel über die Lernmethoden im Golf zu lernen.
Psychologen vertreten den Standpunkt, dass wir in den ersten fünf Lebensjahren mehr lernen als im restlichen Leben. Kleine
Kinder durchlaufen noch nicht den quälenden Prozess von Selbsteinschätzung, Analyse und zielorientierter Anstrengung. Sie
unternehmen nicht den Versuch, etwas zu lernen. Sie lernen einfach. Solange Erwachsene ihnen nicht etwas anderes beibringen,
lernen Kinder auf so natürliche Weise, dass sie diesen Vorgang gar nicht bemerken. Im Gegensatz zu den meisten
Erwachsenen bereitet ihnen das Lernen Freude. Auch wir Erwachsene verfügen noch über diese natürliche Lernfähigkeit.
Wenn wir unseren Hang zur Übernahme vorgefertigter Richtlinien ein bisschen unterdrücken, können wir von dieser Fähigkeit
profitieren.
Dieses Kapitel untersucht diesen anderen, natürlicheren Lernansatz. Es macht mit dem Lernkonzept der Aufmerksamkeit vertraut: Dabei wird die Konzentration auf das gelenkt, was man tut, und nicht auf das, was man tun sollte. Aufmerksamkeit
befähigt, die meisten Golftechniken zu erlernen, indem man sie erlebt. Man muss sie nicht erlernen. So wird der Schüler auf eine
benutzerfreundliche Weise zum Lernen befähigt.
Den größten Teil meines Lebens war ich direkt in Ausbildungsprozesse eingebunden. 17 Jahre lang war ich als Schüler oder Student unserem Erziehungssystem ausgesetzt. Das hatte seinen Höhepunkt in den vier Jahren an der Universität Harvard und
einem Jahr am Institut für Hochschulabsolventen in Claremont, wo ich mich dank eines staatlichen Forschungsstipendiums mit
den Strukturen der vierjährigen College-Ausbildung befassen durfte. Nach dem Magisterabschluss unterrichtete ich Englisch an
der Exeter-Akademie in New Hampshire, dann wurde ich Ausbildungsoffizier bei der US-Marine. Mein ungebrochenes Interesse
an Lernprozessen ließ mich eine Hochschule für freie Künste in Nord-Michigan mitgründen; dort konnten Studenten sich auf
Führungsaufgaben in der Arbeitswelt vorbereiten. Fünf Jahre später nahm ich eine Auszeit von formalen Ausbildungssystemen,
um die von mir eingeschlagene Richtung zu überdenken. In dieser Auszeit entdeckte ich eine neue und ganz andere Weise des Lernens und Lehrens. Dieser Ausflug in meine Biografie soll die Lern- und Lehrproblematik von Golf in den größeren Zusammenhang der gesellschaftlichen Ausbildungsprozesse stellen. Das Wissen um die Ungleichgewichte, die unsere Lern- und
Lehrmethoden innerhalb formaler Strukturen prägen, macht es leichter, die Golflehre mit dem Erziehungssystem zu vergleichen.
Würde man mich darum bitten, das Ungleichgewicht kurz und klar zu bezeichnen, dann würde ich sagen: Die institutionalisierte
Ausbildung kapriziert sich auf Lernkonzepte in einem solchen Maß, dass der Wert des Lernens direkt aus der Erfahrung und das Vertrauen in diesen natürlichen Vorgang stark unterminiert werden.
Ausgehend von der Annahme, dass der Geist ein leerer Behälter ist, der sich allmählich füllt, befassen sich Lernkonzepte mit der
Anhäufung und dem Management von Ideen und theoretischen Informationen. Experimentelles Lernen hat dagegen mehr mit der Entwicklung angeborener Potenziale und Fertigkeiten zu tun. Das englische Wort „Education“ (Erziehung), kommt von dem
lateinischen Wort „educare“, herausführen. Das deutet darauf hin, dass Intelligenz bereits in uns vorhanden ist und nur darauf
wartet, aus uns herausgeholt zu werden. Dieses Hervorlocken durch einen Lehrer, ein System oder die Umwelt ist die eigentliche
Aufgabe wahrer Erziehung. So ist das Sprechen beispielsweise nicht eine Fertigkeit, die einem Kind von außen vermittelt wird,
vielmehr werden angeborene Fähigkeiten durch die Eltern und durch das Erfahren der Umwelt gefördert und unterstützt.
Eine ausgewogene Erziehung verlangt nach einem angemessenen Verhältnis von kognitivem und empirischem Wissen. Aber
bei der Vermittlung von körperlichen Fertigkeiten sollte das Lernen durch unmittelbare Erfahrung Vorrang vor formalisierten, abstrakten Lehrmethoden haben.
Formalisierte Erziehungsstrukturen lassen uns glauben, das Lernen sei mit Ende der Schulausbildung abgeschlossen. Wir
treten in die Arbeitswelt ein und meinen, Lernen sei künftig auf Fortbildungsseminare beschränkt. Aber unser Leben – im Hinblick auf Beruf, Familie oder andere Aktivitäten, die Kompetenz und Wissen verlangen – sieht anders aus. Alltägliche Erfahrungen sind unser ständiger Lehrmeister.
Ich frage mich manchmal, welchen Weg die Menschheit eingeschlagen hätte, wenn sie das Erlernen des Sprechens vor das
Erlernen des Gehens gesetzt hätte. Zweifellos hätten unsere Eltern uns dann beigebracht, wann wir unser Gewicht vom linken auf
den rechten Fuß verschieben müssen. Wir hätten viel Zeit damit vertan, auf dem Boden zu liegen und die Gründe für so manchen
Sturz zu analysieren. Zweifellos hätten viele von uns ein schlechtes Bild von den eigenen motorischen Fertigkeiten entwickelt und würden immer noch über die eigenen Füße stolpern.
Stattdessen haben wir aus der Erfahrung gelernt – wie von der Natur vorgesehen. So bringen sich Kinder auch bei, wie sie auf
dem Fahrrad oder Skateboard das Gleichgewicht halten. Es ist dies ein anspruchsvoller Prozess, der ungeteilter Aufmerksamkeit
bedarf. Er bereitet Freude, obwohl sich die gewünschten Resultate nicht immer über Nacht einstellen. Grundlage des Inner-Game-Lernens ist daher die These, dass die Erfahrung der wichtigste Lehrer ist; jedes Individuum muss durch eigene Erfahrung lernen.
Wird die Erfahrung eines anderen Menschen durch Unterricht und Anweisungen weitergegeben, ist das nur hilfreich, wenn das ganz wichtige Verhältnis des Schülers zu seiner eigenen Erfahrung nicht kompromittiert wird.
Beim Lernen geht es um Veränderungen, und zwar um Veränderungen im Kopf. Die Veränderung kann Einsichten, Wahrnehmungen und/oder Fähigkeiten betreffen. Damit bekommt Erfahrung eine neue, eine erweiterte Dimension: Dank ihrer wachsen wir und setzen wir uns mit äußerlichen Veränderungen erfolgreicher auseinander.
Vor allem Aufmerksamkeit versetzt uns in die Lage, Erfahrungen zu sammeln und aus ihnen zu lernen. Das Wort Aufmerksamkeit klingt vielleicht etwas vage und theoretisch. Das liegt wohl daran, dass es sich dabei um ein sehr grundsätzliches, kaum befriedigend definierbares Merkmal handelt. Im großen Webster’s Wörterbuch wird das Wort als Substantiv nicht einmal aufgeführt. Es definiert »aufmerksam« kurz als »wissend, erkennend, informiert«. Als Synonym bietet es das Wort »bewusst« an. Aufmerksamkeit und Bewusstsein sind die wesentlichen Grundlagen für das menschliche Lernvermögen. Die Evolution vom Einzeller zur hochkomplexen Zellanordnung, wie sie der menschliche Körper darstellt, basiert auf der Kraft des lebenden Organismus, externe Reize zu erkennen und selektiv auf sie zu reagieren. Aber während meiner gesamten Ausbildung hörte ich fast nichts von der Kraft und der fundamentalen Bedeutung der Aufmerksamkeit.
Lernen hat mit Veränderung zu tun und die Inner-Game-Herangehensweisefußt auf dem »Gesetz der Aufmerksamkeit«. Simpel gesagt gibt dieses Gesetz vor: Bevor man etwas verändert, muss man sich seiner Beschaffenheit bewusst sein. Oder prägnanter:
Aufmerksamkeit allein bewirkt schon Veränderung. Vermehrte Aufmerksamkeit führt zu besserem Lernen. Versteht man es, seine Aufmerksamkeit zu fokussieren, dann nimmt zugleich auch die Aufmerksamkeit zu. Auf einfachste Weise gesagt: Sie lernen das, worauf Sie Ihre Aufmerksamkeit richten. Die Aufforderung, aufmerksam zu sein, ist insofern eine Anweisung, sich auf einen bestimmten Bereich zu konzentrieren, um sich seiner bewusster zu werden. (Vor-)Urteil, Furcht und Zweifel im Hinblick auf den Gegenstand unserer Aufmerksamkeit lenken ab und begrenzen Lerngelegenheiten. Die Übung der Aufmerksamkeit möchte ich Ihnen beim Erlernen des Golfspiels an die Hand geben. Doch zuvor möchte ich die übliche Form des Golfunterrichts, der aus Handlungsanweisungen besteht, einer kritischen Betrachtung unterziehen. Handlungsanweisungen fordern grundsätzlich dazu auf, etwas zu tun oder zu lassen. Meist werden sie erteilt mit den Worten »Sie sollten dies tun« oder »Sie sollten dies nicht tun«. Es entsteht eine Atmosphäre von Rechtgläubigkeit und Autorität, in der sich der Schüler darauf einrichtet, vom Befehlsgeber beurteilt zu werden. Wenn die Anweisungen nicht leicht zu verstehen oder zu befolgen sind, ruft das Furcht vor dem Urteil hervor; der natürliche Lernprozess wird gestört. Nur leicht verständliche und leicht zu befolgende Anleitungen lösen eine solche Störung nicht aus. Wenn Sie beispielsweise von einem vertrauenswürdigen Golflehrer aufgefordert werden, die Füße auf Schulterbreite auseinander zu stellen, ruft das weder Furcht noch Widerstand hervor. Aber kann man dasselbe sagen, wenn man folgenden Anweisungen von Ben Hogan zum Durchschwung ausgesetzt wäre?
Alle Spannung aus rechtem Bein und rechter Hüfte lösen sich. Das rechte Knie bewegt sich in Richtung linkes Knie. Die
Handgelenke beginnen sich zu strecken, der rechte Arm wird gerade und dreht sich über die linke Schulter. Dies alles findet genau in dieser Reihenfolge statt. Sie werden feststellen, dass Sie auf diese Weise den Durchschwung vollständig beenden.
Solche Anweisungen sind nicht hilfreich. Sie erzeugen Zweifel des Schülers an seiner Fähigkeit, sie korrekt umsetzen zu können.
Mit dem Zweifel kommt die Angst vor negativer Beurteilung auf. Häufig ist auch Widerstand, bewusst oder unbewusst, gegen den
Golflehrer die Folge. Werden diese Anweisungen verinnerlicht, also von Selbst 1 an Selbst 2 weitergegeben, dann werden auch Zweifel und Angst verinnerlicht und damit Teil unseres inneren Lernvorgangs.
Wie führen Handlungsanweisungen zu Zweifel? Wie schreiben Sie Ihren Namen? Wie binden Sie Ihre Schuhe? Wie gehen Sie eine Treppe hinunter? Denken Sie über eine dieser Handlungen nach und entwickeln Sie eine detaillierte Anleitung für ihre Ausführung. Versuchen Sie, die Handlung nach dieser Anleitung auszuführen. Das ist nicht einfach, wenn Sie auf jedes Detail eingehen. Aber warum?
Das wesentliche Problem liegt in unserer Unfähigkeit, verbale Befehle in körperliche Handlungen umzusetzen, wenn sie nicht
ganz einfacher Natur sind. Werden wir zu verwickelteren Aktionen aufgefordert, schleicht sich Selbstzweifel ein, weil das Gehirn den Körper nicht bewusst steuern kann. Der Teil des Gehirns, der analysiert, theoretische Konzepte entwickelt und verbalisiert, kann keinen Muskel bewegen. Nur in Grenzen kann er mit dem Teil des Gehirns kommunizieren, der unsere Bewegungen steuert. Befehle lösen grundsätzlich einen Widerstand des Egos aus und sie säen auf fünferlei Weise Zweifel.
• Zwischen Lehrer und Schüler herrscht ein Kommunikationsproblem. Der Schüler bezweifelt, ob er versteht, was der Lehrer
meint. Lehrer sind berüchtigt dafür, dass sie eine eigene Sprache sprechen und annehmen, alle Welt spräche dieselbe Sprache. Ihr Jargon enthält Formulierungen, die sich dem unverbildeten Menschenverstand entziehen. Wenn man sich über die Bedeutung einer Anweisung nicht im Klaren ist, kommt Zweifel auf: Kann ich ihr folgen?
• Der Schüler hat interne Kommunikationsprobleme. Intellektuell versteht er vielleicht, was er tun soll. Aber sein Körper
versteht es nicht. Es ist dies der geläufigste Konflikt und er stellt eine umfassende Einladung für den Zweifel dar. Weil der Schüler die Anweisung versteht, meint er, er müsse den Körper zur gewünschten Aktion veranlassen können. Er weiß außerdem, dass der Lehrer die entsprechende Ausführung erwartet. Aber wenn der Körper die Anweisung nicht mit einer bereits vertrauten Aktion
assoziieren kann, ist er außer Stande, ihr zu folgen. Ohne ein Körpergefühl von der Anweisung kann der Schüler weder seinen eigenen Erwartungen noch denen des Lehrers entsprechen. Der Zweifel nimmt zu.
• Intellektuelles und körperliches Verständnis sind womöglich vorhanden, aber die Ausführung scheitert, weil das entsprechende Leistungsvermögen noch fehlt. Es dauerte beispielsweise einige Zeit, bevor mein Körper mit den Feinheiten der Beinarbeit zu
Beginn des Durchschwungs vertraut war. Es fällt dem Lehrer leicht, Bewegungsfehler zu erkennen. Es fällt ihm schwer, die
spezielle Korrektur auszumachen, auf die man sich innerhalb irgendeines Entwicklungsprozesses konzentrieren sollte. Zweifel steigt im Schüler auf, wenn er zu etwas aufgefordert wird, das aus dem Rahmen seines natürlichen Lernfortschritts fällt. Das
verstärkt sein negatives Selbstverständnis, das ihm sagt: »Ich schaffe es nicht.«
• Viele Handlungsanweisungen, die Lehrer erteilen – oder Schüler sich selbst – sind einfach falsch. Wenn man versucht, Aufforderungen zu folgen, die den mechanischen Gesetzen des Golfschwungs oder der Physiologie des Körpers nicht entsprechen,
wird unweigerlich Zweifel aufkommen.
• Es gibt Anweisungen, die intellektuell und körperlich verstanden werden, korrekt sind, dem natürlichen Lernprozess entsprechen und leicht umzusetzen sind. Solche Anweisungen müssen keinen Zweifel nähren und sie können das Lernen gelegentlich unterstützen. Aber Zweifel kommt dann auf, wenn zu viele Anweisungen gleichzeitig gegeben werden. Fast immer, wenn wir So-ist’s-richtig-Anweisungen empfangen, hängt da auch ein »Das ist falsch« in der Luft. Das eine zieht das andere
nach sich und so fort. Schließlich ist der Kopf mit mehr Instruktionen gefüllt, als er verarbeiten kann.
Die Sportlehre beruht auch heute noch vorwiegend auf Handlungsanweisungen – trotz der damit verbundenen Verengung und des möglichen Missbrauchs. So fühlen sich die meisten Golfschüler sogar betrogen, wenn ihnen ihre Golflehrer nicht sagen, was sie falsch machen und wie sie es richtig machen müssen. Genau dieses Verfahren, an das wir uns gewöhnt haben, betrügt uns um die Nutzung unseres Lernpotenzials. Es verführt uns zu unbewusstem Misstrauen uns selbst gegenüber. Die daraus resultierende Lücke zwischen unserer Leistung und unserem Potenzial ist riesig. Leider übernehmen wir von unseren Lehrern diese Lehrmethode und entwickeln ein Selbst 1, das ständig die Saat des Selbstzweifels ausbringt, falls wir darauf hören. Da muss dann nicht einmal mehr ein Pro neben uns stehen. Die Lösung dieses Problems ist eine der wesentlichen Herausforderungen für das gesamte Ausbildungssystem. Vielleicht kann die Sportlehre den richtigen Weg weisen.
Bevor ich die Alternative zum Golfunterricht per Handlungsanweisung anspreche, möchte ich betonen, dass es auf jedem Gebiet des Sports Lehrer gibt, die um die Beschränkungen von Anweisungen wissen und sich einer Sprache befleißigen, die auch der Körper versteht. Die besten Lehrer verwendeten immer schon eine bilderreiche Sprache, die sich nicht auf abstrakte Bewegungsbeschreibungen beschränkte, sondern Gefühle und Vorstellungen vitalisierte, mit denen der Körper bereits vertraut war. Bob Toskis Buch »The Touch System for Better Golf« versucht, die vorrangige Bedeutung von Gefühl und Muskelgedächtnis für den Golfschwung herauszustellen. Er schlägt beispielsweise vor, dass der Golfschwung das Gefühl wie ein Kanu vermitteln soll, das Energie aufbaut, um die Stromschnellen zu überwinden. Oder: »Das linke Handgelenk sollte im Treffmoment so fest sein, als würde man einen Teppichklopfer rückhändig benutzen.« Gary Wiren erwähnt in »The New Golf Mind«, dass Sam Snead beim Schwung an das Wort »ölig« dachte; so engagierte er seine rechte Gehirnhälfte und vermied die Fallstricke der Strategie orientierten linken Gehirnhälfte.
Wie Ben Hogan bereits ausführte, ist der Golfschwung leider nicht leicht mit anderen, häufig ausgeführten Bewegungen zu verknüpfen. Darum haben die meisten nur wenige Analogien in ihrem Muskelgedächtnis.
Inner Game bietet zum Unterricht per Handlungsanweisungen eine funktionierende Alternative, dank derer der Schüler aus
seiner Erfahrung schöpfen und sein Selbstvertrauen verbessern kann. Ich nenne sie »Unterricht in Aufmerksamkeit«. Einfach erklärt, wendet sie sich eher an die Aufmerksamkeit des Schülers als an seinen Körper. Anstatt zu sagen »Schau mal, ob du dies oder das tun kannst«, sagt man »Schau mal, ob du sehen, fühlen oder hören kannst, was genau jetzt und hier passiert«. Die in Kapitel 2 vorgestellte Übung »Hinten-Unten-Oben« stellt eine Aufmerksamkeits- Lektion dar, welche die Wahrnehmung des Schülers auf den Schläger konzentriert, insbesondere auf dessen Position im höchsten Punkt des Rückschwungs und nach erfolgtem Durchschwung. Eine Änderung seines Verhaltens wird von ihm nicht verlangt. Die Übung soll ihm nur den Vorgang bewusster machen.
»Versuche zu fühlen, ob das Schlägerblatt im Treffmoment offen, geschlossen oder senkrecht ist« lautet eine weitere Lektion
in Sachen Aufmerksamkeit; sie vermeidet Zweifel an der Richtigkeit des Verhaltens, indem sie den Schüler gedanklich an den Vorgang selbst bindet. Der Lehrer könnte den Schüler auffordern, seine Augen zu schließen, den Schläger in unterschiedliche Positionen – offen, senkrecht, geschlossen – auszurichten, bis er die Unterschiede in seinen Händen spürt. Als Nächstes könnte der Schüler herausgefordert werden, die Position des Schlägerblattes im Treffmoment bei normalem Tempo zu spüren. Wenn der Schüler denkt, dass sei ein Trick, um die Position des Schlägerblattes zu korrigieren, möchte er es korrekt machen – und schon ist er wieder genauso in der Betriebsart »mehr Mühe«, als hätte man ihm aufgetragen, das Schlägerblatt im Treffmoment square an den Ball zu bringen. Aber wenn er die Lektion in Sachen Aufmerksamkeit für das nimmt, was sie ist – einfach als Aufforderung an ihn, zu fühlen, was mit dem Schlägerblatt passiert –, dann stellt sich gar nicht die Frage nach falsch oder richtig; der Geist konzentriert sich auf diese Erfahrung. Es setzt sich ein experimenteller Lernprozess in Gang, da der Schüler lernt,
zwischen den Empfindungen bei den unterschiedlichen Positionen des Schlägerblattes zu differenzieren.
Aufmerksamkeitsübungen unterscheiden sich radikal von Handlungsanweisungen. Sie verändern in aller Regel auch den
Gemütszustand. Sie erzeugen eine Art Lernen, das frei ist von Zweifel, Frust und Entmutigung. Sie führen zum Wiederentdecken des natürlichen Lernvorgangs, der organisch und schnell vonstatten geht. Am wichtigsten ist es allerdings, dass sie den Glauben
des Schülers an seine Fähigkeit, aus Erfahrung zu lernen, verstärkt; es ist allein die Aufgabe des Lehrers, ihm bei der Konzentration auf die wesentlichen Elemente seiner Erfahrung zu helfen.
Sobald der Schüler mit Hilfe eines Inner-Game-Lehrers wieder Vertrauen in seine Fähigkeit, aus Erfahrung zu lernen, gewonnen
hat, können bestimmte Handlungsanweisungen im geeigneten Moment gegeben werden. Sie dürfen allerdings niemals Zweifel
auslösen. Sie dürfen auch nicht das grundsätzliche Vertrauen des Schülers in seine Lernfähigkeit erschüttern. Aufmerksamkeitslektionen sind dem Lernen so förderlich, dass sie zu 95 Prozent meinen Unterricht bestimmen. Handlungsanweisungen erteile ich nur bei simplen Aufgaben oder wenn bereits ein hoher Grad an Vertrauen auf Selbst 2 und zum Lehrer vorhanden ist.
Die meisten Handlungsanweisungen formuliert man besser als Aufmerksamkeitslektionen. Mit ein bisschen Übung fällt die
»Übersetzung« leicht. Als ich erstmals die Aufforderung »Schwing beim Durchschwung von innen nach außen!« hörte, war ich
verwirrt. Selbst nachdem ich die Aufforderung intellektuell verstand, hatte ich wenig Vertrauen in meine Fähigkeit, ihr Folge
zu leisten. Aber ich habe es versucht. Es klappte nicht, und ich versuchte es wieder und wieder. Ich wurde immer verkrampfter.
Gelegentlich sagte mein Freund Tom Nordland: »Diesmal war es richtig.« Aber ich konnte den Unterschied zwischen den »richtigen« und »falschen« Schwüngen nicht fühlen. Die Übersetzung dieser problematischen Handlungsanweisung in eine Aufmerksamkeitslektion könnte so lauten: »Mach einen Schwung, ohne damit eine bestimmte Absicht zu verbinden. Aber fühle im Durchschwung, ob der Schläger sich dabei auf dich zu oder von dir weg bewegt.« Vor dem Schwung könnte der Lehrer
den Arm des Schülers von außen nach innen und von innen nach außen führen, um ihm ein Gefühl für den Unterschied zu
vermitteln. Sobald der Schüler beim Schwingen zwischen diesen beiden groben Schwungkategorien entscheiden kann, mag er
aufgefordert werden, sich auf feinere Veränderungen zu konzentrieren. Man kann ihm zum Beispiel die Frage stellen, ob der letzte Schwung mehr von innen nach außen ging als der vorherige. Um in diesem Fall seine Konzentration fast unmerklich auf den Schwung zu richten, könnte seine Aufmerksamkeit durch die Einführung einer Skala noch verstärkt werden. Wenn ein
Durchschwung der Ziellinie parallel ist, dann wird er mit 0 bewertet. Ein Schwung etwas von innen nach außen ist + 1, mehr von innen nach außen + 2 oder + 3. Durchschwünge von außen nach innen würden analog dazu als – 1, – 2 und – 3 eingestuft.
(Bei fortgeschrittenen Golfern kann die Konzentration auf eine Skalierung nach Belieben verfeinert werden.) Diese Feineinstellung der Aufmerksamkeit erzeugt deutlichere Unterschiede in den Empfindungen und initiiert Lernvorgänge. Durch Experimente entdeckt Selbst 2, welcher Schwung das beste Gefühl vermittelt und optimal zur eigenen körperlichen Verfassung passt. Manchmal bleibt ein Golfer mit seinem Schwung wie die Nadel in der Schallplattenrille hängen. So sehr er sich auch auf den Durchschwung konzentriert – es hilft nichts. Wenn der Schüler das Empfinden hat, sein Schwung sei mit – 2 einzustufen, könnte der Lehrer sagen: »Probier doch einmal aus, wie sich – 3 anfühlt! … Jetzt probiere + 3, + 2, + 1.« Nachdem er durch die Erfahrung unterschiedlicher Schwünge seine gewohnte Bahn verlassen hat, gibt er sich dem Schwung einfach wieder hin. Wenn er ernsthaft darauf verzichtet, »richtig« schwingen zu wollen, wenn er sich an die Aufmerksamkeitslektion hält, wird sein Körper automatisch den Schwung selektieren, der das beste Gefühl vermittelt und am besten funktioniert. Durch solch einen natürlichen Lernprozess brennt sich der neue Schwung sozusagen ein. Der Schüler fühlt die Veränderungen konkret, denkt aber nicht über sie nach. Hier sind einige Beispiele für die Übersetzung von Handlungsanweisungen in Aufmerksamkeitslektionen. Beim Lesen sollten Sie sich vorstellen, wie unterschiedlich Sie auf jede Lektion reagieren würden.
So wird man aufmerksam
1. Halten Sie den Kopf während des Schwunges ruhig. Das ist zwingend erforderlich. Trainieren Sie das so lange, bis es gelingt.
2. Der rechte Ellenbogen sollte sich im Durchschwung frühzeitigtig auf Ihre rechte Seite zubewegen. (Sam Snead)
3. Achten Sie darauf, ob Sie im Schwung eine Bewegung Ihres Kopfes spüren. Stellen Sie fest, ob die Bewegung beim nächsten
Schlag stärker oder schwächer ist.
4. Achten Sie während der nächsten Schwünge auf Ihren rechten Ellenbogen. Versuchen Sie nicht, etwas zu verändern.
Versuchen Sie nur zu beschreiben, was der Ellenbogen tut, besonders nach Einleitung des Durchschwungs. Stellen Sie Positionsveränderungen fest.
5. Halten Sie Ihren linken Arm gerade. chten Sie bei jedem Schwung darauf, ob Ihr linker Arm gerade bleibt oder sich beugt. Benutzen Sie eine Skala von 1 bis 5, um den Grad der Beugung einzustufen.
6. Der häufigste Fehler des unerfahrenen Spielers beim Durchschwung besteht darin, ihn bereits vor Vollendung des Rückschwungs einzuleiten. Noch bevor der Schlägerkopf die Treffzone erreicht hat, wird die rechte Schulter hastig aktiviert. Der Oberkörper dreht sich dabei zu schnell in den Schlag. (Ben Hogan)
7. Stellen Sie sicher, dass im Treffmoment der linke Handrücken die Ziellinie hinunterzeigt. (Arnold Palmer)
8. Der Golflehrer- und Beraterstab von Golf Digest vertritt die Ansicht, dass der Schlägerschaft im höchsten Punkt des Rückschwungs idealerweise der beabsichtigten Flugbahn parallel ist. (Golf Digest)
9. Bei den nächsten zwanzig Schlägen achten Sie auf Ihren Körper und finden Sie heraus, ob Sie eine hastige Bewegung
während des Schwungs entdecken können. Falls ja: Wann waren welche Muskeln beteilig? Versuchen Sie nicht, ruhiger zu schwingen. Achten Sie nur auf das, was sich tut, und auf graduelle Veränderungen.
10. Schlagen Sie ein paar Bälle und achten Sie auf Ihren linken Handrücken. Steht er senkrecht, offen oder geschlossen?
11. Versuchen Sie zu fühlen, ob der Schaft Ihres Schlägers der Ziellinie parallel ist, nach innen oder außen zeigt. Aber nicht hingucken! Es könnte Ihnen helfen, wenn Sie beim Schwingen die Augen schließen.
Jedes dieser Beispiele weist den Unterschied zwischen den beiden Lehrmethoden auf. Die Handlungsanweisung fordert den Schüler auf, sich einer bestimmten Aktion zu befleißigen – ob er dazu in der Lage ist oder nicht. Prinzipiell kann er sowohl Erfolg
haben als auch versagen. Daher sorgt er sich wahrscheinlich sehr um das Resultat und er ist offen für Zweifel wie für Stress. Selbst wenn er die Aufgabe löst, wird er daran denken, dass er sich an diese Tipp erinnern muss, wenn er dieses Resultat wiederholen will. Und nicht nur an diese Anweisung, sondern auch an alle anderen, die er bereits im Kopf hat. Die Aufmerksamkeitslektion fordert andererseits nur eines vom Bewusstsein: Achte auf das, was passiert. Zweifel kommen nicht auf, da es hierbei kein Richtig oder Falsch gibt. Furcht stellt sich nicht ein, da kein externer Standard für die Qualität der Ausführung gesetzt wird. Aber der Körper lernt. Er kann sich auf das konzentrieren, was sich gut anfühlt, und selbst herausfinden, was funktioniert.
Zu den wesentlichen Merkmalen von Aufmerksamkeitslektionen gehört der Verzicht auf Beurteilung. Aufmerksamkeit registriert
und akzeptiert Abläufe einfach nur. Sie misst dem Resultat keinen positiven oder negativen Wert bei. Einige Lehrer, die sich bemüht haben, die Aufmerksamkeitslektionen ihrem Verständnis anzupassen, sind in Quasi-Aufmerksamkeitslektionen verfallen. »Sind Sie sich dessen bewusst, dass Sie einen falschen Rückschwung haben?«, fragen sie. Oder sie fordern auf: »Unterlassen Sie diese Drehung bewusst!« Aber es ist unmöglich, sich eines Vorganges bewusst zu sein, der nicht stattfindet. Die Aufmerksamkeit kann sich nur einem tatsächlichen Ereignis widmen. Alles andere basiert auf einem Konzept, bei dem Vermutungen im Mittelpunkt stehen. Die Erkenntnis, dass Aufmerksamkeitslektionen funktionieren, fällt nicht leicht, wenn man bis dahin ausschließlich an Handlungsanweisungen geglaubt hat.
Es ist leicht einzusehen, dass Aufmerksamkeitslektionen Selbstzweifel und Frust vermeiden. Esist nicht leicht zu glauben, dass man Resultate mit ihnen erzielt. Wenn Ihnen dieses Eingeständnis hilft: Ich hatte dasselbe Problem. Obwohl diese Lektionen den Lernprozess und das Leistungsvermögen jedes Mal verbessern, bin ich immer wieder begeistert. Vor allem wegen der Mühelosigkeit, mit der sich die Veränderungen zum Besseren ereignen. Und wenn die erwartete Veränderung einmal nicht auftrat, machte das die Sache nur noch interessanter. Allein meine wiederholte Erfahrung, dass Aufmerksamkeitsübungen funktionieren, gibt mir das feste Vertrauen in diese Trainingsform. Es sind die Resultate, nicht die theoretischen Erwägungen, die ihre Qualität garantieren. Darum schlage ich Ihnen nicht den heroischen Kraftakt vor, demnächst alle Resultate außer Acht zu lassen und die Überzeugung anzunehmen, dass Scores wirklich nicht wichtig sind. Ich schlage Ihnen allerdings vor, die Aufmerksamkeitsübungen lange und ernsthaft genug auszuprobieren, um die Wirkung selbst zu entdecken.
Seit ich von Al Geibergers 59 auf dem Platz des Colonial Country Club in Memphis gehört hatte, wollte ich ihn treffen und von ihm erfahren, wie er es mental angestellt hatte, ein solches Ergebnis zu erzielen. Ich rief ihn eines Tages an und wir verabredeten uns in einem privaten Club in Santa Barbara. Ich kam als Erster an und machte mich in den Proshop zum Clubpro auf. Mit ihm hatte Geiberger vereinbart, dass wir das Übungsgrün und die Driving Range benutzen durften. Als ich mich vorstellte, erkundigte er sich neugierig, was ich mit Al Geiberger auf der Driving Range tun wollte. »Sie haben doch nicht irgendetwas vor, das nach Golfunterricht aussieht?«, fragte er fast schon drohend. Ich bat ihn, mir zu erzählen, was nach Unterricht aussähe. »Also, ich möchte weder, dass Sie ihm zeigen, wie man einen Golfschläger schwingt, noch dass er Ihnen demonstriert, wie man den Ball anspricht oder sonst etwas.«